Französischer Einfluss und deutscher Expressionismus

„Ich habe eben Osthaus (in Hagen) gesagt, die deutsche Kunst müsse auf sich selbst gestellt werden. Wir haben die Pflicht, uns von den Franzosen abzulösen. Die Zeit einer selbständigen deutschen Kunst ist gekommen.“ Derart äußert sich Nolde 1912 in einem Gespräch mit seinem Freund Hans Fehr. Vier Jahre zuvor malt er Blumengarten, Frau im weißen Kleid en face (Abbildung), ein Werk, das in Duktus und Farbigkeit den Einfluss des Spätimpressionismus und vor allem des Post-Impressionismus eines Vincent van Gogh erkennen lässt. Auch Rohlfs setzt sich mit dem Impressionismus und Post- Impressionismus auseinander. Schon seine in Weimar entstandenen Landschaftsbilder sind der Schule von Barbizon verpflichtet und damit einer Vorläuferbewegung des Impressionismus. Dann aber üben die impressionistischen und postimpressionistischen Gemälde der Sammlung von Karl Ernst Osthaus im Folkwang-Museum Hagen, in dem Rohlfs eine Atelierwohnung bezieht, eine große Anziehung auf ihn aus. Anders als Nolde spürt Rohlfs dem ästhetischen Vokabular des Pointillismus (Georges Seurat, Paul Signac) viel stärker nach. Das Gemälde Ruhr bei Hohnsyburg (um 1902/03) zeigt dies eindrücklich. Und auch Van Gogh rezipiert Rohlfs genau, wie Garten in Soest (1905, Abbildung) und Hügellandschaft mit tiefstehender Sonne (um 1911) beweisen. 1904 schreibt Rohlfs begeistert an einen Freund: „Osthaus hat 4 neue van Gogh u. a. Zeichnungen sind wohl aus seiner letzten Zeit genial und wüst.“

Die von Nolde 1912 aufgestellte Forderung nach etwas Neuem, das das Alte ablösen müsse, ist in der Kunstgeschichte ein evergreen. Blickt man aber auf Noldes Werke, wird deutlich, dass der Wechsel sich nicht abrupt vollzieht. Noch seine Hamburger Blätter von 1910 sind ganz dem Eintauchen in die Hafenatmosphäre verschrieben. Um deren Stimmung in sich aufzunehmen, zieht er in ein Hotel im Hafenviertel direkt am Wasser. Seine Radierungen sind von einem Duktus, der zwischen Auflösung und Verdichtung oszilliert und die Lichtstimmungen zwischen Nebeln und Schiffsdampf einfängt.

Wäre die bekannte Formel von dem Impressionismus als Eindruckskunst und dem Expressionismus als Ausdruckskunst nicht ohnehin viel zu einfach, müsste man die Hamburger Blätter folgerichtig dem Impressionismus zurechnen. Auch die beiden Aktdarstellungen aus demselben Jahr zeigen, dass noch geraume Zeit hindurch ein Nebeneinander von Ausdrucksweisen vorlag. Während die Radierung Akt in Vorderansicht einen ebenso losen, raschen Strich wie die Hamburger Blätter besitzt und damit an die Leichtigkeit eines schnell eingefangenen Eindrucks erinnert, wirkt die Radierung Akt schräg durch die Stärke des Strichs und durch den dunklen Hintergrund einerseits dramatischer, andererseits viel weniger plastisch. Dieser markante Unterschied zeigt sich auch bei einem Vergleich von Rohlfs’ Aquarell eines weiblichen Rückenakts von 1909 mit seinem Linolschnitt nach demselben Motiv, der den Akt aus drucktechnischen Gründen seitenverkehrt zeigt. Während das Aquarell, in einer Farbklaviatur und Linienführung, die schwach fauvistisch anmutet, am Modellieren von Körpervolumina interessiert ist, beschränkt sich der Linolschnitt auf das Zusammenspiel eines die Fläche betonenden Schwarzweißkontrasts.

Die Verzahnung der verschiedenen Stile wird besonders schön an Rohlfs’ Gemälde Waldweg nach Erling (1911) deutlich. In seiner Pastosität und dunkleren Farbklaviatur wirkt es bereits stark expressiv. Das Licht und Schattenspiel hingegen ist ganz dem Impressionismus geschuldet. Ganz anders steht es indessen schon um Noldes 1907 entstandene Lithografie Große Mühle, die er 1915 zusätzlich Farbflächen bedruckt. Das fest mit der niederländischen und norddeutschen Landschaft assoziierte Motiv in Verbindung mit der groben, geradezu wuchtigen Formung macht verständlich, dass als Expressionismus aufgefasst werden konnte, was formalästhetisch dem Impressionismus zuwiderlief und inhaltlich als „germanisch“ kodiert war. Von nun an erschien der Expressionismus bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein als Möglichkeit einer neuen deutschen Kunst, die sich gegen die Dominanz der französischen Kunst behaupten konnte. So sah nicht nur Nolde selbst in der expressionistischen Kunst das geeignete Mittel dafür, die Zeitenwende durch das „Dritte Reich“ zu repräsentieren – eine Auffassung, die freilich durch die nationalsozialistische Ausstellung Entartete Kunst (1937) aggressiv unterdrückt wurde.

Indessen ist Noldes Auflehnung gegen den Impressionismus sicherlich auch durch seine langanhaltende Enttäuschung und Wut über die im Jahre 1910 erfolgte Zurückweisung seines Gemäldes Pfingsten durch eine von Liebermann geleitete Jury der Berliner Secession motiviert: Liebermann war nicht allein einer der bedeutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten in der deutschen Kunstszene des frühen 20. Jahrhunderts. Vielmehr war er der deutsche Impressionist. Und er war Jude. Aus der Verbindung von Noldes Frontstellung gegen den originär französischen Impressionismus mit seiner antisemitischen Interpretation des Konflikts mit Liebermann erklärt sich, warum er noch nach dem zweiten Weltkrieg in einer US-amerikanischen Ausstellungsrezension in einem Atemzug als „antijüdisch“ und „anti-französisch“ bezeichnet werden kann.

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