Der Expressionismus von Nolde und Rohlfs

„Bei den jüngeren deutschen Künstlern (jung hauptsächlich der Richtung nach) scheint es so zu bleiben, daß das Folkwang-Museum allen anderen um einige Jahre oder Jahrzehnte voraus ist. […] Man nennt diese Künstler Expressionisten, was bedeuten soll, daß sie nicht mehr von dem äußeren Natureindruck, sondern von dem geistigen Erlebnis ausgehen und somit ihr Hauptziel die Stärke des geistigen Ausdrucks ist. Der Eroberer auf diesem Gebiet ist wohl Christian Rohlfs, der in mühevollem Ringen die Entwicklung vom Impressionismus her durchgemacht hat und trotz seiner 64 Jahre heute noch zu den Jungen gehört, der Meister aber ist Emil Nolde […]. Auch er steht bereits in reifen Jahren.“

Der Grund für diese 1913 formulierte Einschätzung von Kurt Freyer, des Assistenten von Karl Ernst Osthaus, liegt wahrscheinlich in der größeren Kontinuität von Noldes Werk. Besonders seine Aquarelle zeugen von einer beständigen Qualität des Ausdrucks. Auch Rohlfs schätzt die Arbeiten seines Künstlerkollegen: „In diesem Monat hat Nolde hier eine reiche Ausstellung ausserst [sic] fesselnd stark in Farbe. Zum Teil wieder neue Anschauungen“, schreibt er 1916 anlässlich einer Ausstellung Noldes im Folkwang. Rohlfs selbst erprobt verschiedene Ausdrucksweisen und Stile, er zeigt sich Zeit seines Lebens offen für Anregungen und Experimente. Sein künstlerisches Credo fasst er wie folgt zusammen: „Es giebt [sic] keinen alleinseligmachenden Glauben mehr weder in der Religion noch in der Kunst. Ich lasse Alles gelten. Man kann wie Nolde das Problem in Licht u. Farbe sehen oder wie Hodler in der Linie. […] Dass ein Kunstwerk Personlichkeit [sic] hat das ist die einzige Forderung die Berechtigung hat alles Andere sind Professorenregeln; beengen den Künstler und führen ihn manchmal in völlige Verwirrung.“ Die in diesem Saal versammelten Werke geben einen Eindruck von dieser Einstellung. So findet sich mit dem Gemälde Berg (1911/1919) und dem Temperabild Schlafende in Rot (um 1911) ein stark expressionistisches Formenvokabular, während das Blatt Äpfel in einer Schale (1923) und die Tintenstiftzeichnung Pilze (1925) den Einfluss der Neuen Sachlichkeit erkennen lassen. Das Stillleben Zinnerarien (1911; 1918; ggf. auch 1920) hingegen gibt einen fabelhaften Eindruck von einer von Rohlfs entwickelten Technik, die sein OEuvre bis zuletzt durchzieht: Einmal aufgetragene Farbe wird mechanisch wie chemisch wieder gelöst, allerdings sehr kontrolliert, so dass, wie im Fall des Blumenstilllebens, eine Rhythmisierung im Abtragen der Farbschichten zu erkennen ist, die das Bild über das Dekorativ-Ornamentale in die Abstraktion überführt.

Als beinahe prototypisch expressionistisch in der Linienführung und Flächengestaltung zeigen sich Noldes Farblithografie Windmühle (1913) und Rohlfs’ Aquarell Patroklidom in Soest (1919). Ihre Aquarelle Bäume an der Wiedau (um 1924) und Hochwald (1920) sowie Holsteinischer Bauernhof I (1922) und Marschlandschaft (um 1920/25) wiederum lassen erkennen, dass Nolde das Aquarellieren nass-in-nass mit einem Moment der Unkontrolliertheit und des Zufalls bevorzugt, während Rohlfs das Zeichnerische, das heißt die Betonung der Linienführung, mit dem Aquarell fusioniert. Mit den beiden schleswig-holsteinischen Landschaften ist der Bezug zur Herkunft beider Künstler gegeben, die sich in ihrem jeweiligen Werk wiederspiegelt. Noldes Heimatbezug stellt sich wesentlich intensiver dar als der von Rohlfs, der nach Verlassen des Elternhauses seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt andernorts einrichtet, etwa in Weimar, Bayern, Hagen und schließlich im schweizerischen Ascona. Noldes Leben ist geprägt vom relativ abgeschiedenen Landleben und regelmäßigen Aufenthalten in Berlin und vielen Reisen; die herausstechendste von ihnen ist wohl die „Medizinisch-demographische Deutsch-Neuguinea-Expedition“, an der das Ehepaar Nolde 1913 bis 1914 teilnimmt. Noldes Aquarell Tänzerin im roten Kleid (1910) und die Keramikkachel Zwei Tänzerinnen (1913) können stellvertretend für die Einflüsse des urbanen Lebens – hier reiht sich Rohlfs’ Tanzende (1923) als karikatureske Momentaufnahme ein – und für das ethnografische Interesse, wie es in der Papua-Neuguinea- Expedition zum Ausdruck kommt, einstehen.

Die heimischen Landschaften, wie sie die Gemälde Bauernhof (1924) und Korndiemen am Sielzug (1939) zeigen, bilden eine Konstante in Noldes schaffen und zeigen seine Verbundenheit mit der eigenen Herkunft. Auch Rohlfs liebt die Landschaft Norddeutschlands, Kiefernwälder finden sich beispielsweise als Motiv in verschiedenen Schaffensphasen. Eine Fotografie aus der Zeit von 1925 bis 1926 zeigt denn auch Rohlfs inmitten eines solchen Waldes im Seebad Misdroy an der Ostsee (Abbildung). Im Werk Noldes wandeln sich die Landschaftsmotive in ihrer Bedeutung. Stehen sie zunächst für die Heimatverbundenheit ein, werden sie für Nolde in den 1930er Jahren zunehmend zu einer Möglichkeit, seine Identifikation mit der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie zum Ausdruck zu bringen. Während auch andere verfemte Künstler, etwa einige der ehemaligen Brücke-Künstler wie Max Pechstein, dazu übergehen, „deutsche“ Landschaften als Anpassung an die NS-Kunstpolitik zu malen, liegt die Sache bei Nolde anders. Er ist als 1867 Geborener unmittelbar betroffen von dem Annexionsgeschehen, das auf den Ausgang des Ersten Weltkriegs folgt (zum Vergleich: Rohlfs ist bei Kriegsende bereits 70 Jahre alt und durch das Kaiserreich sozialisiert; ihn formen als reifen Mann der Krieg und sein Ausgang nicht in der Weise wie Nolde). 1920 wird Nolde dänischer Staatsbürger und bleibt dies bis zu seinem Lebensende. Er fühlt sich allerdings als Deutscher und deshalb auch umso missverstandener durch die Ablehnung der nationalsozialistischen Kulturpolitik.

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