Textiles Raumgreifen als emanzipatorische Geste

Stricken, stopfen, weben, nähen, häkeln, sticken – all dieses Handwerk verbindet man mit der Arbeit von Frauen im häuslichen Umfeld. Das Interieur als weiblich codierter Raum geht mit dem Textilen einher. Zum Ausdruck einer sozial konstruierten Weiblichkeit werden Innenräume aber nicht nur durch die in ihnen ausgeübten Tätigkeiten, sondern auch durch ihre Ausgestaltung mit Stoffen. Ein viel diskutiertes Beispiel ist hierhingehend das Schlafzimmer, das der Architekt und Gestalter Adolf Loos für die Schriftstellerin Lina Loos, seine Frau, realisierte. Der in Weiß gehaltene Raum mit den rings um das Bett platzierten Vorhängen und Angora-Teppichen hat zwar etwas Ätherisch-Unschuldiges. Vorrangig aber wird er mit einer Höhle und dem Schoß oder Uterus einer Frau assoziiert. Aus bürgerlicher Perspektive mag man an die eheliche Pflichterfüllung der Fortpflanzung denken. Sexualpsychologisch klingt das Animalisch-Maßlose an, das ein Stereotyp weiblicher Libido ist. Loos, der das Schlafzimmer als den privatesten aller Räume erachtete, publizierte das Schlafzimmer für Lina Loos dennoch in einer Zeitschrift und bestätigte damit die gesellschaftliche Geschlechterdifferenz öffentlich.

Mit ihrem surrealen Objekt Déjeuner en fourrure (Frühstück im Pelz) karikiert Meret Oppenheim diese Zuschreibungen an das Weibliche. Ihr Titel bezieht sich auf Édouard Manets berühmtes Gemälde Le Déjeuner sur l’herbe von 1863, bei dem, dem Vernehmen nach, zwei Paare im Freien zusammen picknicken, wobei nur die beiden Frauengestalten nackt beziehungsweise halbnackt erscheinen. Manet geht zwar nicht so weit, ihre Scham zu zeigen – ganz anders als Gustave Courbet mit seinem nicht minder berühmten Bild L’Origine du monde (Der Ursprung der Welt) – die Frau wird dennoch im Kontrast zum zivilisiert gekleideten Herrn als natur- und erdverbundenes Wesen stilisiert. Das hier gezeigte Multiple Souvenir du Déjeuner au Fourrure (Erinnerung an das Frühstück im Pelz) hat Oppenheim in der Manier eines naiv-kitschigen Andenkenbildes mit Damastdeckchen und Filzblümchen gestaltet. Die derartige Erinnerung an eines, wenn nicht sogar das Hauptwerk ihres Schaffens und in jedem Fall eines der Meisterwerke des Surrealismus, kann durchaus als Selbstironisierung begriffen werden.

Ironisch durchkreuzt auch Anna Eisermann die Kodifizierungen der Geschlechter. Ihre Arbeit Das Oberhaupt greift die Tradition von Trachtenhauben auf, die den sozialen Status der Frau, etwa als verheiratet oder unverheiratet, kommunizieren. Das weiße Gebilde aber ist mit seinen vielen Fransen ebenso verspielt-schmuckvoll und frivol wie es in seiner Form an ein Gemächt erinnert. Welche Art von Autorität damit einhergeht, bleibt fröhlich unbestimmt.

Das Textile aus der Domestizierung zu befreien, hat sich eine Reihe von Künstlerinnen zum Ziel gesetzt. Mit diversen Stoffresten und -fetzen gestalten Sheila Hicks, Phyllida Barlow und Sonia Gomes plastische Strukturen, die über das Einzelwerk bis hin zu scheinbar wild gewachsenen, raumgreifenden Installationen reichen. Ihre Werke stehen dabei in der Tradition der New Sculpture, die auf untypische Materialien und weiche Unförmigkeit und Unabgeschlossenheit des Bildhauerischen setzte. Die Künstlerinnen verleiben sich aber auch die Stereotype weiblicher Interieurs ein und entwickeln sie weiter. Für Hicks spielt dabei Farbe die zentrale Rolle, noch vor Textur und Form ihrer Materialien, die für sie eine untrennbare Einheit eingehen. Intensive, fröhliche und kontrastreiche Farben, wie sie auch die Arbeit Cobblestone III bestimmen, schaffen Räume von einer wuchtigen und doch aufgeschlossenen und einladenden Selbstbestimmtheit. Kräftig und beschwingt gestaltete Phyllida Barlow ihre Installationen. Das großdimensionierte Werk in der Ausstellung scheint das Textil noch einmal zwischen der Hochkunst der Malerei und den häuslichen Funktionen des Textils anzusiedeln: Das wuchtige Stahlgestell erinnert an ein Präsentationsmöbel, auf dem sich sonst Rollen gewachster Tischdecken oder anderer Stoffe finden. Barlow gelingt mit dieser Arbeit ein ebenso beschwingter wie ernsthafter Kommentar auf die kunsthistorische Minderstellung von Künstlerinnen, gerade auch, was die noch immer von Künstlern dominierte Malereigeschichte betrifft. Klar Stellung bezieht auch Sonia Gomes mit ihrem künstlerischen Selbstverständnis: „Meine Arbeit ist Schwarz, sie ist weiblich, und sie ist marginal. Ich bin eine Rebellin. Ich habe mich nie darum gekümmert, irgendetwas zu maskieren oder zu unterdrücken, das den Normen dessen, was man Kunst nennt, entsprechen könnte oder nicht.“ Die Textilien, die sie vernäht und auspolstert, erhält sie zum Teil als Geschenke. Ihre Werke sind so auch ein Zeichen sozialen Zusammenhalts.

Als widerständig können auch die Arbeiten von Caroline Achaintre und Kresiah Mukwazhi gelten. Die abrupte Energie des Tuftens mittels einer Druckluftpistole, die den Trägerstoff von hinten durchstößt, setzt Achaintre in den unterschiedlich langen Fäden der Vorderseiten fort. Die Arbeiten besitzen so den Anklang an Fell und Haar und wirken wesenhaft. Im Vergleich zu einer symmetrisch geknoteten Arbeit von Sofie Dawo aus den 1970er Jahren wird deutlich, wie stark dies von den unregelmäßigen Längen der einzelnen Fäden herrührt. Betitelt Achaintre ihre Arbeit mit Venus, dann wird eine Vulva erkennbar, die durch zwei Aussparungen gleichzeitig Gesicht und Maske ist und den Blick selbstbewusst erwidert. Kresiah Mukwazhis Stoffbilder sind Rückeroberungen einer selbstbestimmten weiblichen Erotik und Sexualität. In ihrer Arbeit setzt sich Mukwazhi mit Sexarbeiterinnen und der Gewalt an als Frauen gelesenen Personen in ihrer Heimat Simbabwe auseinander. Die frei hängenden Bildgründe mit zahlreichen applizierten Stoffen, Kleidungsstücken und Kunsthaaren wirken chaotisch und fragmentarisch und damit wie ein Ausdruck der leidvollen körperlichen und seelischen Versehrtheit. Gleichzeitig künden gerade die kontrastreichen Farben, aber auch die gemalten Animal Prints von einer Wiedergewinnung der eigenen Lust und Sexualität. Der erotische Körper wird bei Mukwazhi zum Ort des Protests. So betitelt sie ihre Arbeit: Frauen erhebt euch und bleibt hart!

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