Partizipation als solidarisch-widerständige Geste

Das Handhaben von Textilien steht in den Performances und Installationen von Mehtap Baydu, Aszra Akšamija und Farzane Vaziritabar im Zeichen eines sozialen Zusammenhalts, der gesellschaftliche Geschlechtergrenzen übersteigt.

So transformierte Mehtap Baydu für ihre mehrteilige Arbeit Cocoon getragene, ungewaschene Oberhemden von 33 Männern in einen Kokon, den sie selbst um ihren entblößten Körper strickte. Der vorangegangene Akt des Zerschneidens der Oberhemden kommt einer Zerstörung des Stereotyps männlicher Macht gleich. Ein Aspekt, der auch in der Fotografie Long Neck aufscheint. Sie zeigt die Künstlerin mit einer Kaskade der übriggebliebenen Hemdkragen um ihren Hals und scheint damit gleichzeitig selbstbewusste Aneignung wie Verweis auf einengende Geschlechterrollen zu sein. Baydu aber geht weit über derlei Binaritäten hinaus. In ihren Performances, neben Cocoon zum Beispiel Eat me meet me, sucht sie bewusst die Nähe zu ihrem Gegenüber. Ihren Körper liefert sie dabei nicht schutzlos aus, wie etwa Yoko Ono (geb. 1933) und Marina Abramovic´ (geb. 1946) in den heute ikonischen Performances Cut Piece und Rhythm 0. Ono lud ihr Publikum erstmals 1964 ein, zu ihr auf die Bühne zu kommen und ihr die Kleidung vom Leib ab- und aufzuschneiden. Abramovic´ bot den Anwesenden ihrer Performance zehn Jahre später ganze 76 Objekte zur Benutzung an – von Werkzeugen und Waffen bis hin zur Federboa –, und übernahm zu Beginn die Verantwortung für alles, was in der Folge ihrem Körper widerfahren würde. Lädt Baydu zur Teilhabe in Form des Verzehrs eines von ihr getragenen Kleides aus Fruchtmasse ein, dann ist der Diskurs um die Gewalt an Frauen in ihrem Werk aufgehoben. Sie überführt ihn aber vor allem in die Möglichkeit einer Begegnung mit Augenkontakt und Gespräch. Ihr Körper ist damit nicht länger allein Blick-Objekt, sondern bringt die Teilnehmenden mit ihr als Subjekt in Kontakt. Neben dem gestrickten Kokon als Relikt der Performance Cocoon sind auch die Porträts der 33 Männer zu sehen, die Baydu ihre Hemden gaben und dadurch mit ihr gemeinschaftlich ein Objekt hervorgebracht haben, dessen Schutz und Wärme jeder Mensch in Form von Kleidung und Behausung benötigt.

Auf diese Grundbedürfnisse, zu denen auch das Kommunikative gehört, zielt auch Aszra Akšamijas Arbeit Yarn-dez-vous. Entstanden ist das Quilt-artige Textil partizipativ, indem Teilnehmende unterschiedlicher Kulturen von Akšamija gebeten wurden, die für ihre Herkunft typischen Stoffe beizusteuern. Die sternförmigen Einheiten lassen sich durch Reißverschlüsse entweder in eine Art College-Jacke oder in ein planes Stoffbild verwandeln. Eine weitere und die wohl symbolischste Form nimmt die Arbeit aber dann an, wenn sich verschiedene Trägerinnen und Träger über die Reißverschlüsse miteinander verbinden und so einen Raum der Interaktion und Kommunikation schaffen. Während die unterschiedlichen Funktionsweisen an Vorgänger wie Supports/Surfaces denken lassen, hat das gemeinsame Tragen des Stoffs Vorbilder in der Performance-Kunst, etwa in Lygia Papes (1927–2004) von 1968 bis 2011 wiederholter Arbeit Divisor, bei der eine Menschenmenge kollektiv mit einem großflächig vernähten und mit Kopflöchern versehenen Laken ‚bekleidet‘ ist und dieses durch die Straßen trägt. Dieses Werk zeigt, wieviel Bedacht von Nöten ist, um eine Gesellschaft zu bilden, in der das Individuum seine Eigenheiten nicht verliert und doch zum Ganzen beiträgt.

Einer solidarisch verbundenen Gemeinschaft ist auch das Werk von Farzane Vaziritabar gewidmet. Im Zentrum steht der Kampf iranischer Frauen gegen das Gebot, im öffentlichen Raum einen Hijab (Arabisch für Hülle, Kopftuch, Schleier, Vorhang) zu tragen, der Haar und Hals bedeckt. Seit den 1990er Jahren und verstärkt seit 2022 demonstrieren Frauen im Iran öffentlich und sind deshalb mit Strafmaßnahmen und Gewalt konfrontiert. Anfang September 2023 führte Farzane Vaziritabar ihre Perfomance Being Seen in der Kunsthalle Emden auf, bei der sie am Boden liegende Kopftücher aufnimmt und überstreift, um sie sie sich anschließend einzeln vom Publikum abnehmen und in den Raum hängen zu lassen. Für die Arbeit One of Many, deren einzelne Elemente allein oder eng aneinander geschmiegt im Verbund gezeigt werden, spannt Vaziritabar Kopftücher, die alle von Frauen getragen worden sind, auf Stickrahmen und versieht sie mit dem Aufdruck ihres eigenen Bildnisses als demonstrierende Frau. Der industriell hergestellte Stoff wird zwar auch hier zum Bild, doch nicht im Kontext einer Malereigeschichte, wie etwa bei Sigmar Polke oder Gérard Deschamps, sondern aus einem viel stärker lebensweltlichen und politischen Kontext, der eines hohen Maßes an Widerstandskraft bedarf, wie die Textilschilder eines jeden Tuchs zeigen.

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