Nachgefragt: Provenienzforschung

Provenienzforscherin Katharina Rüppell

Nachgefragt: Provenienzforschung

In jüngster Zeit erfreut sich die Provenienzforschung eines hohen medialen und damit auch öffentlichen Interesses. Zahlreiche Berichte thematisieren neue Forschungsprojekte, Rückgaben von Kunstgegenständen an rechtmäßige Erben und Diskussionen um die Rückgabe von geraubten Kulturgütern aus der Kolonialzeit. Aber was genau ist eigentlich Provenienzforschung, warum ist sie notwendig und was macht sie so kompliziert? Von Katharina Rüppell, Provenienzforscherin an der Kunsthalle Emden.

Was heißt Provenienzforschung?

An Museen, in Privatsammlungen und Stiftungen, aber auch an Bibliotheken ist sie ein wichtiger Teil der Sammlungsarbeit. Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Erforschung der Herkunft und der wechselnden Besitzgeschichte von Kulturgütern. Provenienzforscher*innen sind meistens studierte Kunsthistoriker*innen oder Historiker*innen. Ihr Ziel ist es, Eigentumsverhältnisse, Rechtsgeschäfte und Besitzwechsel möglichst gut und lückenlos zu rekonstruieren, um sie bewerten zu können. Erhärtet sich im Lauf einer Recherche die Vermutung, dass es sich bei einem Kunstgegenstand um unrechtmäßig entzogenes Kulturgut handelt, ist es die Aufgabe des Provenienzforschers/der Provenienzforscherin, das Ergebnis transparent zu machen, nach Erb*innen des oder der Geschädigten zu suchen und die Verhandlungen über eine gerechte und faire Einigung zwischen den beteiligten Parteien zu unterstützen.

Seit wann gibt es Provenienzforschung in Deutschland?

Die Provenienzforschung ist - im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen - ein noch recht junger Forschungszweig. Erst vor etwa 20 Jahren begann man in Deutschland mit einer intensiveren Suche nach NS-Raubgut in staatlichen und (viel später) auch in privaten kulturellen Institutionen wie Museen, Sammlungen und Bibliotheken.

Die Washingtoner Prinzipien

Ein Meilenstein in der Entwicklung der Provenienzforschung waren die Beschlüsse, die 1998 bei der Washingtoner Konferenz zu Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust gefasst wurden. An ihr nahmen Vertreter*innen von 44 Staaten und 13 nicht-staatlichen Organisationen teil. Sie einigten sich auf 11, allerdings rechtlich nicht bindende, Prinzipien für die Suche nach und den Umgang mit unrechtmäßig entwendeten Vermögenswerten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Unter anderem besagen die Prinzipien, dass für die Forschung nach unrechtmäßig entwendeten Kulturgütern genügend finanzielle Mittel und eine geeignete Infrastruktur zur Bündelung der Ergebnisse zur Verfügung gestellt, die Ergebnisse transparent vermittelt und bei berechtigten Rückforderungen gerechte und faire Lösungen gefunden werden sollten (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste - Washingtoner Prinzipien).

Im Sinne einer historischen und moralischen Selbstverpflichtung bekräftigte man 1999 in Deutschland mit der „Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste - Gemeinsame Erklärung) die Anerkennung der Washingtoner Prinzipien.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste

Seit 2015 ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste - Startseite) der zen­tra­le An­sprech­part­ner zu al­len Fra­gen un­recht­mä­ßig ent­zo­ge­nen Kul­tur­guts. Es stellt – wie auch für das Provenienzforschungsprojekt an der Kunsthalle Emden – finanzielle Mittel zur Verfügung, fördert die Vernetzung der Provenienzforscher*innen und betreibt die Datenbanken Lost Art (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste - Lost Art-Datenbank) und Proveana (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste - Forschungsdatenbank Proveana), in denen Verdachtsfälle eingestellt und dokumentiert werden und in die auch Suchmeldungen von Geschädigten oder deren Erb*innen veröffentlicht werden können.

In den vergangenen Jahren hat sich der Themenkanon der Provenienzforschung um zwei wichtige Bereiche erweitert: Zum einen um den unrechtmäßigen Kulturgutentzug in der so­wje­ti­schen Be­sat­zung und in der DDR und zum anderen um die Erforschung von Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten.

Boykott gegen jüdische Bürger, 1933, Fotografie, Deutsches Historisches Museum, Berlin (c) bpk

Was versteht man unter NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern?

Jüdische, regimekritische und andere, dem Regime unliebsame Personen(gruppen) wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 im Dritten Reich systematisch diskriminiert und verfolgt. Gesellschaftlicher und politischer Druck auf diese Bevölkerungsgruppen manifestierte sich zunächst zunehmend in Repressalien wie Boykotten von jüdisch geführten Geschäften und Berufsverboten, die die Betroffenen oft in finanzielle Notlagen brachten. Um sich und ihre Familien über Wasser zu halten oder um die Flucht aus dem Dritten Reich finanzieren zu können, sahen sich viele zum Verkauf von Wertgegenständen, darunter auch Kulturgütern, gezwungen. Unter solchen Umständen veräußerte Kunst- und Kulturgegenstände zählen zu den NS-verfolgungsbedingten entzogenen Gütern. Hinzu kommen Kulturgegenstände, die ihren Eigentümern oder den rechtmäßigen Erben, z.B. durch Verfügungen zum Zwangsverkauf, durch Beschlagnahmung oder nach der Emigration der Verfolgten ins Ausland oder ihrer Deportation, geraubt wurden. Abbildung: Boykott gegen jüdische Bürger, 1933, Deutsches Historisches Museum, Berlin (c) bpk

Was mache ich als Provenienzforscherin an der Kunsthalle Emden?

Ich beschäftige mich aktuell mit ca. 100 Gemälden, Skulpturen und Kunstgewerbeobjekten aus der Sammlung der Kunsthalle, die vor 1945 entstanden sind. In meiner Recherche konzentriere mich vor allem darauf, so viel wie möglich über den Verbleib der Kunstwerke zwischen 1933 und 1945 herauszufinden. Das ist gar nicht so einfach, denn die Werke wurden von Henri Nannen überwiegend ab den 1970er Jahren im Kunsthandel erworben oder sind als Stiftungen und Spenden an die Kunsthalle gekommen. Oft sind nicht mehr als ein oder zwei Stationen der Besitzgeschichte der Werke bekannt, zum Beispiel der Name der Galerie, von der das Kunstwerk zuletzt verkauft wurde.

Wie gehe ich in der Provenienzforschung vor? Welche Quellen nutze ich?

Provenienzforschung erfordert Systematik und Akribie. Alle Schritte des Erforschens müssen festgehalten, die Quellen gefunden und hinterfragt und die Ergebnisse genau dokumentiert werden. Sie erfordert Geduld, weil die Suche nach Belegen für die Besitzgeschichte nach so langer Zeit ähnlich kompliziert ist, wie die berüchtigte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Auch Kreativität ist gefragt, weil man bei der Suche nach Quellen oft um die Ecke denken muss.

Meine Suche an der Kunsthalle begann mit der Sichtung der hausinternen Quellen wie Restaurierungs- und Werkakten, in denen sich oftmals Dokumente zum Ankauf, teilweise auch Briefwechsel oder handschriftliche Notizen und Ähnliches erhalten haben. Einen großen Teil dieser Unterlagen habe ich in den letzten Monaten digitalisiert, um die Unterlagen zu sichern und ein digitales Archiv anlegen zu können.

Zudem durchforste ich die relevante kunsthistorische Literatur, wie zum Beispiel Werkverzeichnisse, Auktions- und Ausstellungskataloge, nach Informationen zu den einzelnen Kunstwerken. Eine große Hilfe für die Recherche sind Datenbanken, in denen z.B. Dokumente aus Sammlungs- und Galerienachlässen, Auktionen, aber auch Schriftstücke aus der NS-Zeit digitalisiert wurden. Solche Unterlagen müssen teilweise auch vor Ort in den Archiven eingesehen werden.

Wichtig ist zudem die Kommunikation mit - innerhalb der Besitzgeschichte der einzelnen Werke bekannten - Sammler*innen, Stifter*innen, Galerien und Auktionshäusern, aus der sich wichtige Anhaltspunkte für die weitere Recherche ergeben können.

Auch die Bilder selbst liefern manchmal Hinweise auf ihre Besitz- und Ausstellungsgeschichte. Das beschreibe ich in meinem nächsten Beitrag.

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