Kunstwerk des Monats: Gabriele Münter, "Herbstbäume bei Tutzing", 1908

Elke Haan stellt mit diesem Kunstwerk des Monats ein Lieblingsbild des Museumsgründers Henri Nannen vor: die "Herbstbäume bei Tutzing" von Gabriele Münter, die er einst als Kunsthändler erwarb, dann aber als leidenschaftlicher Kunstsammler nicht mehr hergeben mochte. Seit Eröffnung der Kunsthalle 1986 gehört es zur Sammlung.

In Gabriele Münters (1877 Berlin – 1962 Murnau) Gemälde „Herbstbäume bei Tutzing“ scheint es, als würde die Malerin einen flüchtigen Blick in die Natur in einer raschen Skizze festhalten: drei imposante Bäume in einer eng geschlossenen Gruppe stehen im prächtig leuchtenden Herbstlaub in einer parkartigen Umgebung. Das Licht eines klaren Herbstages lässt die Farben erstrahlen: das kräftige Blau des Himmels steht im starken Kontrast zum orangefarbenen und gelbgoldenen Blattwerk, der hell-bis dunkelgrüne Wiesengrund vollendet den expressiven Farbklang. Münter ist es in ihrem Bild um die Farbwirkung gegangen: Der Einfluss der französischen Fauvisten, deren Bilder sie in einem Studienaufenthalt in Paris 1906-1907 kennen gelernt und mit denen sie dort im Salon d ´Automne und Salon Indépendants ausgestellt hatte, ist unverkennbar.

Auch die kurzen, kräftigen Pinselstriche, die Vereinfachung der Darstellung des Laubes durch einfache sich kreuzweise übereinanderlegende Pinselstriche, zeugen von einer neuen Art des Malens. In wenigen Pinselstrichen stellt sie rechts im Hintergrund des Bildes ein von der Sonne beschienenes, zweistöckiges Haus dar: farblich reduziert auf weiß und orange, dahinter in der Ferne eine Baumreihe die jeweils sehr vereinfacht nur aus zwei Pinselstrichen besteht. Die Lichtseite in grün, die Schattenseite in dunkelviolett. Zwar ist der Pinselduktus insbesondere der Darstellung des Laubes in kurzen Strichen noch geprägt vom Spätimpressionismus eines van Goghs, sie macht aber bereits in der Auffassung der Farbe, im Bestreben, aus  der Fülle von Eindrücken das Wesentliche und Entscheidende herauszuarbeiten, einen großen Schritt in ihrer künstlerischen Entwicklung: Sie kommt, wie sie in ihrem Tagebuch sagt, „Vom reinen Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen

eines Inhaltes – zum Abstrahieren – zum Geben eines Extraktes“. Das Flüchtige des Impressionismus weicht zu einer bleibend-gültigen Aussage: Die Natur folgt dem steten Rhythmus der Jahreszeiten.

1908, das Entstehungsjahr des Bildes, ist ein entscheidendes Jahr für die Kunst der Moderne in Deutschland. Das Malerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky hatte 1908 nach vier Jahren gemeinsamen Reisens nach Frankreich, Tunesien und Italien zwei Ateliers in München bezogen und machte oft Ausflüge ins malerische Voralpenland mit den Orten Tutzing am Starnberger See und Kochel am Staffelsee. Kennengelernt hatte sich das Paar bereits im Jahr 1902, wo Kandinsky als Lehrer der Kunstschule „Phalanx“ in München mit seinen Schülern und Schülerinnen zu Malausflügen in die Umgebung zieht, um in freier Natur zu malen. Laut klingelnd fährt er mit dem Fahrrad zu den weit verstreut arbeitenden Schülern. Mit seiner Schülerin Gabriele Münter verbindet ihn die Lust am Radfahren, sie treffen sich zu gemeinsamen Radtouren und werden schnell ein Liebespaar, das sich gegenseitig in ihrer künstlerischen Arbeit beeinflusst.

Im Juni 1908 entdeckten sie erstmals den Ort Murnau, in dem sie sich im August und September 2008 zusammen mit den russischen Malern Baronin Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky aufhielten. Die wechselseitige Anregung unter den zwei Paaren in der hügeligen Umgebung des Murnauer Mooses führt zu einem einmaligen gruppendynamischen Schub in der Kunst der Moderne und den Durchbruch zur einer neuer expressiver Malerei in Deutschland. 1911 gründen Münter und Kandinsky zusammen mit Franz Marc und August Macke die wegweisende Künstlergruppe „Blauer Reiter“.

Henri Nannen hatte das Gemälde, das zu seinen Lieblingsbildern zählte, 1979 im Kunsthandel erworben und es 1986 der Stiftung der Kunsthalle Emden zugeführt.

 

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