Kunstwerk des Monats ist das Werk "Freundinnen (Schwester)", 1914, von Karl Schmidt-Rottluff (1884 Rottluff/Chemnitz - Berlin 1976). Das Ölgemälde im Format 88 x 102 cm gehört zum Kernbestand der Kunsthalle Emden, der Sammlung des Museumsgründers Henri Nannen. Elke Haan bringt uns das Gemälde und den Maler näher:
Zwei Frauenfiguren, die sich als Freundinnen oder, wie im Alternativtitel beschrieben, als Schwestern nahestehen, füllen den Bildraum einer üppig grünen Landschaft: eingerahmt von reduzierten Landschaftselementen, einem hohen Horizont in Gelb mit blauen Wolken, zackenartigen Gewächsen in Rot und Grün in den Bildecken und zwei sich zum Horizont hin krümmenden Wegen rechts und links der beiden Gestalten.
Fast scheinen sie zu schweben in ihren langen, Kleidern der damaligen Zeit, die die Füße verdecken. Ihre Köpfe sind am oberen Bildrand angeschnitten. In Haltung und Gestik der beiden Frauen zeigt sich ihre emotionale Befindlichkeit und ihre Beziehung zueinander, expressiv in starken Farben und prägnanten Linien. Links die Frau im schwarzen Kleid, den Kopf gesenkt, die Schultern vornübergebeugt hängend, die Hände verschränkt. Ihre Freundin oder Schwester tritt an sie von schräg hinten heran, sie anblickend, den Kopf fragend leicht gebeugt, die Schultern gerade, die Arme entspannt hängend. Leicht erkennen wir, worum es hier gehen muss: Um Ablehnung, Schmerz, Trauer, Leid und In-sich-gekehrt-sein einerseits und andererseits um Empathie, Tröstung und Zuwendung der Schwester / Freundin. Diese tiefe Emotionalität, die innere Spannung in ihrer existentiellen Lebenssituation, bestimmen die Aussage und Faszination dieses expressionistischen Werkes.
Offen bleibt, ob es den beiden Frauen gelingt, zu einer Harmonie zurückzufinden, die Gefühle in ihrer Situation zu klären oder ob die Kluft zwischen ihnen bereits zu groß ist. Die beiden dargestellten Wege, die sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen, symbolisieren eher eine Entfremdung der beiden Frauen.
Karl Schmidt-Rottluff, war im Sommer 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, zusammen mit seiner Schwester Gertrud und deren Freundin in Hohwacht, einem Bade- und Fischerdorf in der Kieler Bucht. Im selben Jahr entstanden auch weitere Frauendoppelbildnisse: „Zwei Frauen (Frauen im Grünen)“, 1914, (Von der Heydt-Museum, Wuppertal) - wieder zwei Frauen, eine in schwarzer Trauerkleidung, die andere in hellen Farben gekleidet, beide jedoch heiter und gelöst. Und der Holzschnitt „Trauernde am Strand“, 1914 (Brücke Museum, Berlin): diesmal zwei Frauen, die sich einander zuneigen und ihre Trauer teilen. Der Tod seines Vaters in diesem Sommer kurz zuvor, die Trauer seiner Schwester Gertrud, deren Freundin gegenwärtig ist, mögen den Maler zu diesen Werken inspiriert haben.
In dem Gemälde, insbesondere in der maskenhaften Gestaltung der Gesichter, und in seinen Holzschnitten zeigt sich der Einfluss und seine Auseinandersetzung mit der Volkskunst Afrikas und Ozeaniens, die als Sammelobjekte für alle Brücke-Maler von großem Einfluss waren. Diese Kunst bedeutete für sie das Ursprüngliche, natur- und wahrhaftige Leben jenseits der Zivilisation. Anders als seine Malerkollegen reiste Schmidt-Rottluff jedoch niemals nach Übersee, sondern bevorzugte kleine Orte an der Nord- und Ostsee, wie auch Dangast, wo er mehrere Sommer lang malte.
1905 hatte Karl Schmidt-Rottluff zusammen mit Ernst-Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl und Erich Heckel in Dresden die Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ gegründet, die bahnbrechend für den Deutschen Expressionismus wurde. Im Gegensatz zu anderen Künstler seiner Zeit - August Macke und Franz Marc fallen 1914 bzw. 1916 in Frankreich - überstand er den Ersten Weltkrieg als Armierungssoldat hinter der Front. 1931 wird er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, und zählte 1937 zu den verfemten, als „entartet“ gebrandmarkten Künstlern, belegt mit Malverbot. 1943 siedelt er in seinen Geburtsort Rottluff bei Chemnitz zurück, deren Namen er dem seinen hinzufügte. 1947-54 war er Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. 1964 initiierte er das Brücke-Museum in Berlin, dem er bis zu seinem Tod umfangreiche Schenkungen eigener und angekaufter Werke überträgt.
Im April 2025 eröffnete in Chemnitz im Stadtteil Rottluff das deutschlandweit erste eigene Museum des expressionistischen Künstlers Karl Schmidt Rottluff in seinem Elternhaus, einer Wohnmühle, die von der Stadt Chemnitz restauriert worden war.