Elke Haan stellt das Ölgemälde "Deux Filettes Finlandaises" der Künstlerin Sonia Delaunay-Terk (1885 Gradisk/Ukraine - Paris 1979) aus dem Jahr 1907 als Kunstwerk des Monats vor.

Das Gemälde „Deux Fillettes Finlandaises“ – Zwei finnische Mädchen – ist eines der wichtigsten Werke aus den Anfängen der Künstlerin und Designerin Sonia Delaunay. Geboren als Sara Stern in der heutigen Ukraine wird sie mit fünf Jahren von ihrem Onkel Heinrich Terk, einem kunstverständigen und wohlhabenden Rechtsanwalt aus St. Petersburg, adoptiert und heißt fortan Sonia Terk. Ihr Adoptivonkel fördert ihr Interesse an der Malerei, ermöglicht Reisen nach Europa und ab 1904 ein Studium an der Kunstakademie Karlsruhe.  1905 geht sie nach Paris und studiert an der fortschrittlichen Académie de La Palette in Paris und setzt sich dort mit den neuesten avantgardistischen Tendenzen auseinander. In Ausstellungen und Galerien begegnen ihr die Werke der  großen Postimpressionisten Vincent van Gogh (1853-1890), Henri Matisse (1869-1954) und Paul Gauguin (1848-1903), die sich mit der Bedeutung der Farbe, ihrer emotionalen, expressiven und räumlichen Wirkung auseinandersetzten und sie von den Gegenständen lösten. Deutlich hiervon angeregt entstehen zwischen 1905 und 1907 auf den jährlichen Sommerreisen mit der Familie Terk nach Finnland Porträts finnischer Mädchen, zu denen auch das Emder Doppelbildnis von 1907 zählt.

In einem Farbenrausch zeigt die Malerin zwei junge, in Haltung, Kleidung und Aussehen verschiedene Mädchenfiguren: an einem runden Tisch, die Ellbogen aufgestützt, die Hände am Kinn, das eine Mädchen mit braunem Haar, das andere links daneben blond, mit auf dem Tisch liegendem, ausgetrecktem linken Arm, der nah an die Betrachtenden  heranzureichend scheint. Die beiden Mädchen sind überhaupt derart bildfüllend angelegt, dass es so wirkt, als säße man mit am Tisch, auf dem eine einzelne Tasse und ein Geranienstock in einem einfachen Tontopf stehen. Seltsam ist, dass die Blicke der beiden Mädchen aneinander vorbei gehen. Gedankenverloren, vielleicht wartend, oder gelangweilt, blicken sie ins Leere.

Kompositorisches Gespür und feines Farbempfinden zeichnen das Bild aus: unverkennbar ist der Einfluss des „Cloisonismus“ (von frz. „unterscheiden“) Gauguins: dunkel betonte Linien umschließen stark farbige Flächen, deren Intensität sich gegenseitig so noch verstärkt. Das leuchtende Gelb der Tischdecke, der rote Hintergrund, die blaue bzw. rosafarbene Kleidung der Mädchen sind Beispiele hierfür. Grünliche Schatten in den Gesichtern, den Armen und im Blumentopf stellen einen inneren Zusammenhalt der einzelnen gleichwertig behandelten Bildteile her. Es kündigt sich hier der wenig später mit dem Ehemann der Künstlerin, Robert Delaunay, entwickelte Thema des Simultankontrastes der Farbe an.

Motivisch erinnert das Frauendoppelbildnis an die typischen Frauenbildnisse, die Paul Gauguin während seiner ersten Südseereise 1891 anfertigte, insbesondere an das Gemälde „Frauen am Strand“, das zwei Frauen zeigt, die in ähnlicher Weise zusammen, aber doch einzeln und isoliert erscheinen. Ob Sonia Delaunay wie Gauguin ein ethnologisches Interesse an der Darstellung der finnischen Mädchen hatte oder wie van Gogh in einfachen und ursprünglichen Menschen eine allgemeingültige Wahrhaftigkeit suchte, bleibt offen. 

Eine innere und motivgeschichtliche Verwandtschaft ließe sich auch in der Darstellung der Worpsweder Bauernkinder von Paula-Modersohn-Beckers finden. Wie auch Sonia Delaunay-Terk war Paula Modersohn-Becker zwischen 1903 und 1906 nach Paris aufgebrochen. Sie starb 1907 im selben Jahr, in dem Sonia Delaunay die finnischen Mädchen schuf.

 

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