Kunstwerk des Monats: Erma Barrera-Bossi, "Badende", um 1911

Elke Haan stellt das Kunstwerk des Monats vor: "Badende" von Erma Barrera-Bossi, aus dem Jahr 1911. Das Werk gehört der Kunsthalle Emden seit 1992.

In einer fast paradiesisch anmutenden Landschaft aus Meer, Felsen und Palmen wenden sich drei weibliche Rückenakte der glutrot am Horizont untergehenden Sonne zu. Die Frauen scheinen gerade dem Wasser entstiegen zu sein: fast ist es, als hätten wir es mit einer einzigen Frau zu tun, die drei zeitlich versetzte Haltungen einnimmt: stehend, schreitend und sitzend, in den Händen ein blaues Handtuch. In Größe, in ihren rundlichen Körperformen und den braunen Haaren sind die Figuren sich überaus ähnlich und bilden eine eng geschlossene Gruppe in einer Dreieckskomposition. Barrera-Bossi greift damit auf die mythologisch-antike Bildtradition des Dreifigurentypus der drei Grazien, der drei Parzen oder auch der drei Marien zurück und bewirkt so eine fast spirituelle Überhöhung der Frauenfiguren.

Der Bildaufbau aus vereinfachten, sich der Abstraktion annähernden flächigen, fast geometrischen Formen zeigt die Auseinandersetzung der Künstlerin mit den kubistischen Strömungen in Paris, vor allem mit Paul Cézannes großem Gemälde badendender, nackter Frauen in freier Natur, den Les Baigneuses (1883). Aber auch Einflüsse van Goghs und Gauguins sind unübersehbar in der intensiven Beschäftigung mit der Wirkung sowie der Raum- und Lichtqualität der Farben: das ganze Spektrum von Gelb über Orange zu Rot, von tief-dunklem Blau zu Grün schöpft Bossi aus. Die grün-blauen Schatten, mit denen die Körper modelliert sind, finden sich in den Farben der Landschaft wieder, sodass die Figuren zu ihrer Umgebung in Bezug gesetzt sind. In einem Gefüge aus farbigen und linearen Bildelementen bilden Mensch und Natur eine harmonische Einheit, die besonders von expressionistischen Künstlerinnen und Künstlern in ihrer Malerei angestrebt wurde.

Im Sommer 1908 hatte sich Barrera-Bossi in Murnau am Staffelsee aufgehalten, wo auch die Künstlerinnen und Künstler der Münchner Avantgarde um Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky sich zum Malen verabredet hatten. Im Januar 1909 trat sie deren neu gegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“ (NKVM) bei, die neue bildnerische Mittel bis hin zur Abstraktion suchte, und aus der 1912 die Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“ hervorging. 1911 nahm sie von Paris aus an der dritten und letzten Ausstellung der NKVM mit ihrem Bild „Badende“ teil. Danach lebte sie weiter in Paris, später in Mailand. Eine Ausstellung 2013 im Schlossmuseum Murnau begab sich auf „Spurensuche“ nach dieser lange Zeit kaum bekannten Künstlerin.

Zu Recht erfahren in jüngster Zeit die Künstlerinnen aus dem Kreis des „Blauen Reiter“ zunehmende Wertschätzung und Würdigung in der Kunstgeschichte.  Nicht zuletzt weil sie sich, wie Erma Barrera-Bossi, in ihren Werken der Vereinnahmung von eindeutigen, oft erotischen Weiblichkeitsvorstellungen ihrer männlichen Malerkollegen widersetzten.

Mit großem Gespür für Kunst hatte Henri Nannen das Bild Badende bereits 1971 im Kunsthandel gekauft, als noch sehr wenig von dieser Künstlerin bekannt war. 1992 wurde es der Stiftung der Kunsthalle zugeführt.

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