VON MORGENS BIS MITTERNACHTS

Von morgens bis mitternachts (1920) von Karlheinz Martin geht zurück auf das gleichnamige, für das expressionistische Theater wegweisende Stück von Georg Kaiser aus dem Jahr 1912. Das Stationendrama handelt von einem einfachen Bankangestellten, der aus seinem gutbürgerlichen – aber auch gleichförmigen und langweiligen – Leben ausbricht. Nachdem er bei der Bank Geld gestohlen hat, begibt er sich auf einen Streifzug durch das Vergnügungsviertel einer Großstadt, in dem er das Geld verprasst. Geläutert und am Ende wahnsinnig vor Selbsterkenntnis, nimmt er sich das Leben.

Bahnbrechend für die Verfilmung ist die stilisierte, verzerrte Bemalung der Kulisse durch den Kostüm- und Szenenbildner Robert Neppach. Dieser machte auch vor den Gesichtern der Schauspieler und deren Kostümen nicht Halt und bemalte diese mit weißen und schwarzen, kantigen Akzenten. Die dadurch entstehende Flächigkeit hebt sich deutlich von anderen Filmkulissen dieser Zeit ab und steht im direkten Bezug zum Ursprung des Stücks: dem Theater. Maßgeblich für den Film sind zudem die zahlreichen Überblendungen, die stellvertretend für die gestörte Selbstwahrnehmung des Protagonisten stehen. Immer wieder wird das Antlitz von Damen mit einem Skelettkopf überblendet, ähnlich der Nächtlichen Erscheinung (1923) von Otto Dix.

Das Drama war ebenfalls Grundlage für Bernhard Kretzschmars Folge von acht Lithografien, die im Erscheinungsjahr des Films entstanden ist. Starke schwarzweiß Kontraste, kantige geometrische Formen und überzeichnete Fratzen illustrieren das Innenleben des Protagonisten, der stets im Mittelpunkt steht, aber dennoch von den ihn umgebenden Personen abgegrenzt zu sein scheint. Am Bankschalter sieht er sich den reichen Kunden gegenüber, deren Leben er beneidet, im Kreise seiner Familie ist kein Gefühl von Zuhause zu spüren, nur Schrecken vor dem Alltag, doch auch auf der Rennbahn und in den Bars und Bordellen starren ihn Fratzen an. Bei allen Bearbeitungen dieses Stoffs, der dramatischen, filmischen und zeichnerischen, wird durch diese Schlüsselszenen und -motive deutlich, dass der Bankangestellte weder in sein altes Leben zurückkehren kann, noch in das erträumte, neue Leben passt.

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Details zum Film:

Von morgens bis mitternachts, 1920 (65 Minuten)
Regie: Karlheinz Martin
Drehbuch: Karlheinz Martin, Herbert Juttke
Produktion: Herbert Juttke, Georg Isenthal
Produktionsfirma: Ilag-Film (Isenthal und Juttje), Berlin
Kamera: Carl Hoffmann

Besetzung:
Kassierer: Ernst Deutsch
Tochter, Bettlerin, Dirne und Heilsarmeemädchen: Roma Bahn
Dame: Erna Morena
fetter Mann: Adolf Edgard Licho
Sohn der Dame: Hans Heinrich von Twardowski
Großmutter: Frida Richard
Bankdirektor: Eberhard Wrede
Trödler: Hugo Döblin
Ehefrau des Kassierers: Lotte Stein

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