Die neue Freiheit der Kunst: Das Lebensbild der Brücke-Gemeinschaft

«Arm- und Lebensfreiheit» forderte Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) im 1906 veröffentlichten Programm der Brücke. Das wünschten sich die Künstler nicht nur in Hinblick auf ihr Kunstschaffen, sondern auch in Bezug auf die eigene Lebensweise. Sie wollten nicht nur den herrschenden Kunstgeschmack überwinden, sondern auch mit vom Wilhelminismus geprägten bürgerlichen Konventionen brechen.

Die Künstler der Brücke lebten illegal in Ateliers, die nicht als Wohnraum ausgewiesen waren. Ihre Betten versteckten sie tagsüber auf dem Dachboden. Hier oder auch an abgeschiedenen Orten in der Natur malten sie, unter anderem nackte Modelle. Landschaften und Akte wurden zu bevorzugten Bildthemen.

Schon die Gründungsmitglieder hatten sich auf den sogenannten «Viertelstundenakten» dem spontanen Zeichnen gewidmet: ein Modell nahm dabei für fünfzehn Minuten eine bestimmte Körperhaltung ein, die mit schnellen Strichen abgezeichnet werden sollte. Nach Ablauf der Zeit wurde eine neue Pose eingenommen. Das Abzeichnen erforderte ein gutes Auge, und ein ausgeprägtes Talent für die Reduzierung von Formen, denn Zeit für Details oder Korrekturen blieb dabei nicht.

Falls sich kein geeignetes Modell fand, bezahlten die Brücke-Künstler Nicht-Modelle, baten ihre Lebenspartnerinnen oder sprangen kurzerhand selbst in die Bresche. Gemalt wurde im Atelier oder auch in der Natur an den Stränden der Nord- und Ostseeküste oder auch den Moritzburger Teichen bei Dresden. Gemeinsam mit oft sehr jungen Modellen und einer Gruppe von Gleichgesinnten feierten und malten sie und demonstrierten so ihre künstlerische und freiheitsliebende Natur.

Damit entsprachen sie auch modernen Reformbewegungen wie der Freikörperkultur, die in der paradiesischen Natürlichkeit einen Gegenentwurf zu dem Zwängen und Abhängigkeiten des Stadtlebens und der industriell geprägten Arbeitswelt hervorhob.

Eine Rückkehr zu einem ungezwungenen Dasein betonen in dieser Ausstellung vor allem die Werke Otto Muellers (1874-1930). Seit 1919 Professor an der Staatlichen Akademie für Kunst und Gewerbe in Breslau unternahm er auf der Suche nach der «Ursprünglichkeit» in den 1920er Jahren ausgedehnte Reisen nach Osteuropa und auf den Balkan. Hier entstanden viele seiner Bilder – angeregt von einem stark idealisierten und romantischen verklärten Bild der Rom*nja mit deren unkonventionellem und vermeintlich freien Lebensstil er sympathisierte.

Zurück zur Übersicht

Weiter zum nächsten Text

Drücke Enter, um die Suche zu starten