Am Anfang war die Revolte

Von »Nichtskönnern«, »Farbenkrämpfen« und »gemaltem Wahnsinn«

Als sich 1905 die expressionistische Künstlervereinigung Brücke gründete, befand sich das Deutsche Kaiserreich bereits seit mehreren Jahren im Umbruch. Den konservativen Kräften der Wilhelminischen Ära mit ihrer tradierten Gesellschaftsform standen Reform- und Arbeiterbewegungen gegenüber, die in sämtlichen Bereichen Veränderungen forderten. Auch der Kunstbetrieb wurde von dieser Welle des Umbruchs ergriffen. In Opposition zur offiziellen Kunstpolitik gründeten sich immer wieder neue Vereinigungen, die den Historismus und die Begeisterung für alles Militärische in der Kunst vehement ablehnten. Es waren zunächst die Impressionisten, die sich 1898 zur Berliner Secession zusammenschlossen, um sich gegen das wilhelminische Kunstverständnis aufzulehnen. Nachdem die Jury der Berliner Secession unter der Leitung von Max Liebermann zahlreiche expressionistische Gemälde abgelehnt hatte, spaltete sich 1910/11 die Neue Secession ab.

»Kolorismus und Komposition heißen die neuen Tendenzen. Der Impressionismus Monet’scher Observanz ist strengstens verpönt, und die Namen, die auf den neuen Fahnen stehen, sind Gauguin und van Gogh und der Nordländer Edvard Munch. […] Aber der Neo-Impressionismus, der lange nur eine Marotte weniger Eigenbrötler schien, zieht mit seinem Gesetz der reinen Farbe nun ebenfalls weitere Kreise, und er gibt mit seinen an Mosaiktechnik erinnernden Farbtupfen eine neue Möglichkeit der Bewältigung des großen Formates, einen Weg zum dekorativen Wandbilde.«
(Curt Glaser über die Abspaltung der Neuen Secession in der Zeitschrift Kunst für Alle, Juli 1910)

Bereits einige Jahre zuvor, 1905, gründeten die vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl in Dresden die Künstlervereinigung Brücke, die heute als eine der wichtigsten Gruppen des deutschen Expressionismus gilt. In München versammelten sich um Franz Marc und Wassily Kandinsky die Künstlerinnen und Künstler des Blauen Reiters.

Jene Künstler, die wir nach heutigem Verständnis als Expressionisten bezeichnen, fühlten sich als Erneuerer der Malerei und als Opposition zu den im Wilhelminischen Kaiserreich vorherrschenden konservativen Kräften in Gesellschaft und Kunstbetrieb. Von Beginn an hatten sie Fürsprecher und Unterstützer. Gleichzeitig gab es zahlreiche Gegner, die in der Öffentlichkeit leidenschaftlich gegen die Künstlerinnen und Künstler wetterten. Für damalige Sehgewohnheiten – sowohl für Teile des Fachpublikums als auch für die breite Masse – wirkten die expressionistischen Werke fremd, da kaum Wert auf technische Brillanz gelegt wurde und die Bildinhalte oftmals verzerrt und überformt dargestellt wurden. In der Folge sahen sich die Künstlerinnen und Künstler massiven Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt. Selbst die zerstrittenen Parteien der Akademiemaler und Impressionisten waren sich in der Ablehnung des Expressionismus einig.
»Nichtskönner«, »Horde farbspritzender Brüllaffen«, »Farbenkrämpfe«, »krankhafte Erscheinung«, »Neuste Kunsterkrankung«, »blöde Schmierereien« und »gemalter Wahnsinn« sind nur einige der Beleidigungen, die über die Kunst des Expressionismus veröffentlicht wurden.

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