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Im frühen 20. Jahrhunderts herrschte Aufbruchsstimmung in der Münchener Kunstwelt. Die Zeit schien reif für eine neue Art des Malens. Unter diesem Eindruck gründete 1909 ein Zusammenschluss von Künstler*innen um Wassily Kandinsky (1866-1944), Alexej von Jawlensky (1864-1941), Gabriele Münter (1877-1962) und Marianne von Werefkin (1860-1938) die Neue Künstlervereinigung München. Ihr Ziel war es, gemeinschaftlich Ausstellungen zu realisieren.
Schon im Dezember 1909 kam die erste Ausstellung in den Räumen der Galerie Thannhauser zustande. Die dort gezeigten Werke trafen beim konservativen Münchener Publikum jedoch auf starke Ablehnung. Man schimpfte, drohte und spuckte angeblich gar auf die in knalligen Farben gemalten Bilder.
Ungeachtet dessen organsierten die Künstler*innen eine weitere Ausstellung für das Folgejahr 1910, bei dem neben eigenen Werken auch solche der internationalen Avantgarden gezeigt wurden. Die Schau war als Wanderausstellung konzipiert und bemühte sich, an die internationale moderne Kunst anzuknüpfen. Mit Arbeiten von George Braque (1882-1963), André Derain (1880-1954), Kees van Dongen (1877-1968), Pablo Picasso (1881-1973), Maurice de Vlaminck (1876-1958) oder der Brüder David (1882-1967) und Wladimir Burljuk (1886-1917) waren etwa fauvistische und kubistische Positionen und auch die der Russischen Avantgarde vertreten.
Durch diese Ausstellung konnte auch der feinsinnige Künstler Franz Marc (1880-1916) für die Bewegung gewonnen werden. Die Mehrheit der Besucherinnen und Besucher reagierte aber weiter abschätzig und störte sich besonders an Kandinskys zunehmend abstrakter werdenden Werken. Auch innerhalb des Vereins zeichneten sich Konflikte über die Gegenständlichkeit der Kunst ab: die weniger radikaleren Mitglieder wie
Alexander Kanoldt (1881-1939) und Adolf Erbslöh (1881-1947) hatten Kandinskys ungegenstädliche Gemälde schon länger kritisiert und konnten sich auch nicht wirklich mit seinen kunsttheoretischen Überlegungen identifizieren.
Das ärgerte Kandinsky, der daraufhin bewusst eine Spaltung provozierte: In die Vereinsstatuten hatte er bei der Gründung eine Klausel eingebracht, bei der jedem Aussteller eine Fläche von vier Quadratmetern zustand. Nun überschritt Kandinsky die vorgeschriebenen Maße mit seinem Werk Komposition V um 1,23 Quadratmeter und wurde erwartungsgemäß von der Jury abgelehnt. Kandinsky trat daraufhin unter gespielter Empörung aus dem Verein aus. Treu folgten ihm Marc und Münter. Schon zwei Wochen eröffneten sie die seit Längerem im Geheimen geplante Parallelausstellung Blauer Reiter.
Die dort gezeigten Werke standen symptomatisch für einen Wechsel in der Kunstauffassung: fortan sollten zunehmend abstrahierte Darstellungen mit einer neuen, lebendigen und hochsignifikanten Farbigkeit im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens stehen.