Grafische Techniken spielten sowohl für Die Brücke als auch für die Blauen Reiter*innen eine wichtige Rolle. Sie erkannten Grafik nicht nur als eigenständiges künstlerisches Medium an, sondern auch als Probierfeld für neue Ausdrucksmöglichkeiten.
Besonders die Brücke-Künstler experimentierten mit Papieren und Farben und zogen ihre Drucke oft selbst ab, was zu kleinen Auflagen und damit zu einer besonderen Exklusivität führte. Ihr bevorzugtes Medium war der Holzschnitt, der unter anderem vom Jugendstil und vom Japonismus sowie von der Ausdruckskraft frühneuzeitlicher Kunst inspiriert worden war. Dabei ließen sich bewusst die charakteristischen Grate im Holz stehen und machten die Linienführung sichtbar, um die kantige Struktur und den handwerklichen Charakter ihrer Drucke zu betonen.
Aber auch die Künstler*innen des Blauen Reiters beschäftigten sich intensiv mit grafischen Techniken. Paul Klee (1879-1940) etwa war in der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Gruppe fast ausschließlich grafisch tätig. Die stilistische Spannbreite der Arbeiten reichte von den bewusst schlichten, gegenständlichen Zeichnungen Gabriele Münters (1877-1962) oder den lichtdurchfluteten Werken August Mackes (1887-1914) über die intellektuelle Linienkunst Klees bis zu Wassily Kandinskys (1866-1944) abstrakten Aquarellen. Für den Umschlag des berühmten Blauen Reiter-Almanachs entwarf Kandinsky zehn Versionen mit Darstellungen des heiligen Georg als Symbolfigur einer neuen Kunst. Zwar handelte es sich dabei meist um Aquarelle; für das endgültige Cover entschied er sich jedoch für den Holzschnitt, bei dem er intensiv mit der Wirkung von Farbkontrasten experimentierte.
Die Wertschätzung des Blauen Reiters für Grafik zeigt sich auch 1912, als Kandinsky und Franz Marc (1880-1916) die Ausstellung «Schwarz-Weiß» in München organisierten. Sie zeigten darin 315 Papierarbeiten, darunter neben eigenen Werken auch die internationaler Künstler wie Pablo Picasso (1881-1973) und Kasimir Malewitsch (1879-1935).
Grafik als innovatives Marketing-Konzept
Grafik blieb für den Blauen Reiter jedoch in erster Linie ein künstlerisches Medium. Ganz anders bei den Brücke-Künstlern: hier wurde sie auch innovativ für das Marketing der Gruppe eingesetzt: Durch Abonnementsysteme erhielten Förderer – sogenannte passive Mitglieder – regelmäßig Jahresmappen mit originalgrafischen Arbeiten. Jeder Künstler war abwechselnd für eine solche Mappe verantwortlich. So konnten sich Kunstinteressierte, die sich keine Gemälde leisten konnten, durch Poster, gedruckte Manifeste und Reproduktionen von Kunstwerken an der neuen Bewegung beteiligen und Die Brücke finanziell unterstützen. Durch die gegenseitige Reproduktion näherten sich die Gruppenmitglieder in ihren Stilen einander an. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Max Pechsteins (1881-1955) Gemälde «Tanz» von 1909, das Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) 1910 als Holzschnitt neu interpretierte.
Gemeinsam war beiden Gruppen der Wunsch, Grafik als eigenständige Kunstform zu etablieren. Doch während Die Brücke stärker auf handwerkliche Direktheit und expressive Kraft setzte, strebte Der Blaue Reiter nach einer spirituell aufgeladenen, intellektuell reflektierten Bildsprache.