Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg galten Abstraktion und Informel als Weltsprache – nicht zuletzt da nach den Gräueln der nationalsozialistischen Diktatur eine realistische oder figurative Darstellungsweise kaum als mögliches Ausdrucksmittel erschien. »Es ging auch um das Wahrnehmen oder Übersehen der Wirklichkeit in einem Land, dessen zu verantwortende Last Völkermord hieß und das dennoch oder deshalb im Begriff war, alles zu verdrängen, ich sage, gegenstandslos zu machen, was die Vergangenheit heraufbeschwören und die Flucht nach vorne behindern konnte.« erinnerte sich Günter Grass rückblickend 1985. Auf den anhaltenden weltweiten Erfolg des Informel – allem voran auf der zweiten Documenta 1959 – folgte in Deutschland immer mehr Skepsis. 1959 prägte Hans Platschek den Begriff Neue Figuration, der eine neue figürliche Darstellungsweise mit den expressiven Ausdrucksmitteln des Informel verband. Es ging dabei keinesfalls um die Wiederbelebung des Realismus oder Naturalismus.
Wie schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fanden sich Kunstschaffende in der Nachkriegszeit wieder in Gruppen zusammen, um sich mit gemeinsamen Idealen und Ideen gegen die herrschenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse aufzulehnen. Bereits 1948 gründet sich die Künstlergruppe CoBrA (steht für Kopenhagen, Brüssel, Amsterdam und bestand bis 1951), zu der unter anderem Asger Jorn, Carl-Henning Pedersen und Karel Appel zählten. Als internationaler Zusammenschluss lag ihr Grundansinnen im Wiederaufgreifen gesamteuropäischer abstrakt-figurativer Traditionslinien, die durch die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die nationalsozialistische Kulturpolitik gekappt wurden. Besonders der Blaue Reiter war ein großer Bezugspunkt für die CoBrA. So schrieb Asger Jorn 1952 an Constant: »Wenn ich CoBrA mit Helhesten und dem Blauen Reiter Kandinskys und Marcs vergleiche, finde ich, dass wir Ideen und Dinge haben, die die anderen nicht hatten.« Das Ansinnen des internationalen Zusammenführens mündete nicht zuletzt im Austausch Asger Jorns mit der Münchner Künstlergruppe SPUR. Diese bestand von 1957 bis 1965 aus den Malern Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer sowie dem Bildhauer Lothar Fischer. Kurz vor Gründung schrieb HP Zimmer in sein Tagebuch: »Der Plan ist aufgetaucht, nicht nur einfach eine Ausstellung zu machen, sondern eine Gruppe zu gründen wie der Blaue Reiter oder die Brücke.« Den Vergleich mit diesen beiden wichtigen Künstlergruppierungen wird HP Zimmer nicht willkürlich gewählt haben. »Man muss sich die zurückgebliebene kulturelle Situation damals in Deutschland vergegenwärtigen. Wir waren so unterernährt, dass überhaupt abstrakt oder kubistisch malen bereits als ein Zeichen der Rebellion galt«, erinnerte sich Helmut Sturm. Neben der Gruppendynamik mit ihrer größeren Schlagkraft gegenüber der spießigen Nachkriegsgesellschaft, bestand ein gemeinsames Interesse für außereuropäische Kulturen, kindliche Ästhetik und sowie der Gotik. Wie die Expressionisten im beginnenden 20. Jahrhundert, galten auch diese Künstler als Aufrührer und Rebellen sowie als Gegenspieler der Weltsprache Abstraktion.
Daran knüpften auch Georg Baselitz und Eugen Schönebeck Anfang der 1960er Jahre an. Mit ihrem Pandämonischen Manifest verfassten sie eine Streitschrift für das Hässliche, Obszöne und Blasphemische als wichtigste Inhalte einer neuen figurativen Malerei. Neben Baselitz zählt auch K. H. Hödicke zu den wichtigsten Wegbereitern des sogenannten Neoexpressionismus. Er ist so etwas wie der Grundstein für eine Stilrichtung, deren Vertreterinnen und Vertreter als Neue Wilde oder Junge Wilde bezeichnet werden – zu ihnen zählen unter anderem die Hödicke-Schüler Rainer Fetting, Helmut Middendorf und Salomé.