Teil 2: Sven Drühl im Gespräch mit Lisa Felicitas Mattheis

Sven Drühl bei der Arbeit im Atelier. Schwarzweiß-Fotografie von Lena Giovanazzi

Teil 2: Sven Drühl im Gespräch mit Lisa Felicitas Mattheis

Das Interview findet sich in voller Länge im Katalog "SVEN DRÜHL. Apokryphe Landschaften" zur gleichnamigen Ausstellung (verlängert bis 30.1.2022). Lisa Felicitas Mattheis, wissenschaftliche Leiterin der Kunsthalle Emden, befragt den Künstler zu seinen Einflüssen, seiner Arbeitsweise, Motiven und Materialien. Wir veröffentlichen das aufschlussreiche Gespräch hier in drei Teilen. Teil 1 ist bereits erschienen, Teil 3 folgt im Oktober.

Die klassische Landschaftsmalerei – besonders seit der Romantik – wird zum einen als Ausdruck des seelischen Zustands aufgefasst, zum anderen als künstlerische Nachempfindung des Sublimen, des Göttlichen. In deinen Werken näherst du dich der Landschaft allerdings über Appropriation, indem du Bilder über Bilder malst. Spielt das Motiv der Landschaft hier eine besondere Rolle?

Ja, die Landschaft hat eine besondere Bedeutung, weil sie als Sujet so alt ist und mich immer wieder fasziniert. Zwar ist sie als eigenständige Gattung erst im 16. Jahrhundert entstanden und hatte ihre Blütezeit im 18. und 19. Jahrhundert, aber Landschaftsdarstellungen, und sei es nur als nebensächlicher Hintergrund, existieren schon seit der Antike. Mich haben Landschaftsgemälde eigentlich schon immer gefesselt. Trotz meines großen theoretisch-philosophischen Interesses an Gegenwartskunst, hat es mich im Museum immer in die Säle mit Landschaften des 19. Jahrhunderts gezogen. Während des Kunststudiums habe ich noch sehr an Martin Kippenberger geklebt. Alles, was ich gemalt habe, hatte diesen ätzenden Witz oder war ironisch. Aber Herr Kippenberger hat das eben schon extrem lange und gut gemacht. Was sollte ich da also noch hinzufügen? Nach dem Studium habe ich diese Werke fast alle zerstört und quasi wieder bei null angefangen. Da sind dann die ersten Landschaftsremixe entstanden. Mich reizt es einfach sehr, mit diesen Motiven zu arbeiten

Was interessiert dich daran genau?

Jeder Betrachter füllt die Motive selbst mit ganz unterschiedlichen Bezügen. Gerade habe ich in Berlin in der Kirche St. Matthäus ausgestellt und dort gab es viele Gespräche über die Bedeutung des Bergmotivs im Religiösen. Der Berg als Ort der Anbetung, des Rückzugs, aber auch als gefährlicher Ort, an den sich die Häretiker zurückziehen. Daher kommt eigentlich auch der Titel für die aktuelle Ausstellungstour Apokryphe Landschaften. Dieser ist inspiriert von den Diskussionen im kirchlichen Kontext. Apokryph bezieht sich ja zunächst auf die sogenannten Apokryphen, das heißt die nichtkanonischen religiösen Schriften. Diese wurden von der Kirche aussortiert beziehungsweise nicht anerkannt – es gibt diverse Evangelien, etwa von Judas oder Maria, aber auch Apostelakten und Apokalypsen. In Bezug zu meinen Werken ist das eine Anspielung darauf, dass ich zwar stets Autor bin, mich aber zugleich auf andere Autoren stütze, mir diese quasi ungefragt oder vielleicht sogar verbotenerweise aneigne. Zugleich hat apokryph aber auch die Nebenbedeutung von düster, verborgen und geheimnisvoll. Das finde ich für meine Werke auch sehr schön, ohne es jetzt im Einzelnen deutlich erklären zu wollen. Doch lass mich noch einmal auf die Ausstellung in St. Matthäus zurückkommen: Alles, was ich dort gemacht habe, war ein großes Bergmotiv über dem Altar schweben zu lassen – und schon gehen total unterschiedliche Diskurse los. Das hat mir sehr gut gefallen. Gleichzeitig kommen immer wieder Leute, die meinen, ich müsse begeisterter Bergsteiger oder zumindest Bergwanderer sein. Was für ein schöner Trugschluss. Denn ich finde die malerische Übersetzung von Bergmotiven aus ganz anderen Gründen reizvoll.

Welche da wären?

Es ist einfach spannend zu überlegen, wie ich ein Motiv – sei es eine Wasseroberfläche oder eben ein Berg – malerisch so umsetze, dass das Gemälde den Betrachter in den Bann zieht. Ich denke wirklich sehr lange über die Ausschnitte, die Grundkomposition und die Farbsetzung nach. Besonders die Lichter und die Himmel müssen sitzen, und meist versuche ich, ein geheimnisvolles Leuchten zu erzeugen, als hätte es kurz vorher ein Wetterleuchten gegeben… Das ist schon eine Art der Verführung mit Mitteln der Malerei. Auch die Frage, wie komplex die Strukturen sein dürfen, ist wichtig: Wenn alles zu kleinteilig ist, zerfasert das Bild; wenn man zu stark reduziert, wird es flach. Dann macht es mir natürlich auch großen Spaß, die unterschiedlichen Malmittel wie Ölfarbe und Kunstharzlacke gegeneinander auszuspielen. Jede Farbe kann etwas Unterschiedliches als Material. Lack formt zum Beispiel wunderbare marmorierte Flächen aus, wenn man mit dem Lösemittel umzugehen weiß. Ölfarbe macht ganz andere Übergänge in den Farbnuancen möglich und ich kann die Farbe so dick auftragen, dass eine reliefartige Struktur entsteht. Dann gibt es noch die Überlegungen, wo ich den Zufall einbinde und wo im Bild es genaue Setzungen gibt. Das sind alles Malerei-interne Fragestellungen.

Auffällig ist, dass der Mensch in deinen Landschafts- oder auch deinen Architekturbildern nicht vorkommt.

Ich cutte alle menschlichen Bezüge, die in den Vorlagen manchmal zu finden sind, immer aus meinen Bildern heraus, weil mir das zu narrativ besetzt ist. Ich möchte die Motive offenhalten.

Was stört dich denn an der Narration?

Wenn ich zum Beispiel eine Person in ein Bergbild hineinmalen würde, wie es im 19. Jahrhundert als Staffage üblich war, dann ist mir das in dem Sinn zu erzählerisch, dass man sich als Betrachter sofort diverse Fragen stellt: Wer ist das? Was macht die Person da? Was ist passiert? Solche Sachen lenken aber nur von dem eigentlichen Motiv ab, sie setzen eine Art inneren Monolog in Gang, den ich nicht möchte. Ich finde es viel interessanter, wenn die Gemälde Stimmungen erzeugen und nicht Geschichten erzählen. In dieser totalen Konzentration auf das Grundmotiv liegt dann eine besondere Kraft. Man kann sich wirklich in ein Bild hineinversenken und es auf sich wirken lassen. Erst im nächsten Schritt gibt es in meinem Fall dann diese ganzen kunsthistorischen Bezüge und Verweise.

 

(Auszug (2/3) aus einem Beitrag in dem Ausstellungskatalog „Sven Drühl. Apokryphe Landschaften“, hrsg. von Lisa Felicitas Mattheis, Carola Schneider, mit Texten von Katharina Henkel, Lisa Felicitas Mattheis, Carola Schneider, Gestaltung von Claudia Bachmann. Deutsch, Englisch, 2020. 176 Seiten, 80 Abb., gebunden, 21,00 x 28,00 cm, ISBN 978-3-7757-4634-2. Hatje Cantz Verlag, Berlin, Preis an der Museumskasse 29,90 €.)

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