Teil 1: Sven Drühl im Gespräch mit Lisa Felicitas Mattheis

Sven Drühl bei der Arbeit im Atelier.

Teil 1: Sven Drühl im Gespräch mit Lisa Felicitas Mattheis

Das Interview findet sich in voller Länge im Katalog "SVEN DRÜHL. Apokryphe Landschaften" zur gleichnamigen Ausstellung (10.7.-3.10.21). Lisa Felicitas Mattheis, wissenschaftliche Leiterin der Kunsthalle Emden, befragt den Künstler zu seinen Einflüssen, seiner Arbeitsweise, Motiven und Materialien. Wir veröffentlichen das aufschlussreiche Gespräch hier in drei Teilen. Die weiteren Teile folgen im September und Oktober.

Lieber Sven Drühl, du bist Künstler, Mathematiker und Kunstwissenschaftler. Was für manche zunächst unvereinbar klingen mag, war beispielsweise in der italienischen Renaissance sprichwörtlich State of the Art. Inwieweit schlagen sich diese unterschiedlichen Einflüsse auf Deine Kunstproduktion nieder?

Schön, dass du auf die Renaissance anspielst, umfassend gebildet und so weiter … verstehe … das ist lustig … und lange her … Aber im Ernst: Ich finde es schon wichtig, auf mehreren Ebenen aktiv zu sein. Künstler sind ja üblicherweise eher Einzelkämpfer im Studio. Da tut es ganz gut, sich von Zeit zu Zeit mit anderen Dingen auseinanderzusetzen. Sich auch theoretisch mit Kunst zu beschäftigen, ist aber nicht wirklich weit weg von der Kunstproduktion. Das macht ja eigentlich jeder Künstler auf seine spezielle Art. Nur dass es bei mir dann gleich zur Dissertation und zur Gastherausgeberschaft von diversen Bänden Kunstforum International geführt hat, ist vielleicht ungewöhnlich. Aber wenn ich aus dem Atelier komme, beschäftige ich mich eben sehr gerne mit der Kunst von anderen. Und Mathematik habe ich bloß zusätzlich zur Bildenden Kunst studiert und auch abgeschlossen. Ich habe zwar nie als Mathematiker gearbeitet, dennoch habe ich immer mal wieder Phasen, in denen ich wochenlang etwas über beispielsweise Funktionentheorie oder über Mathematiker wie David Hilbert, Andrew Wiles oder Grigori Perelman lese. Und an meiner Kunst kann man diese Affinität zur Mathematik auch deutlich ablesen. Obwohl ich ja – um es mal vorsichtig zu formulieren – ästhetisch sehr einnehmende Gemälde mache, lässt sich konzeptuell ein gewisser Hang zur Ordnung und Präzision nicht leugnen. In der Mathematik geht es um elegante Lösungen, es geht um Gesetzlichkeiten, Permutationen und Umformulierungen – genau das mache ich künstlerisch. Ich suche nach Neuformulierungen beziehungsweise neuen Lösungen für alte Probleme und dabei beziehe ich mich auf das, was vorher war. Im Rückgriff entsteht dann Neues. Ich finde den von der Künstlergruppe Neue Slowenische Kunst inspirierten Begriff der Retrogarde passend. Ein Schritt zurück, zwei nach vorne!

Nun greifst du in deinen Arbeiten auf motivische Ready-mades zurück und verwendest Vorlagen aus der europäischen und japanischen Kunstgeschichte sowie neuerdings auch von Computerspielen. Inwieweit – und das ist eine Frage an den Theoretiker in dir – reflektierst du dabei Fragen der Autorschaft, der künstlerischen Originalität und der Bildautonomie?

Das waren immer meine Ausgangsfragen, sie haben zu der Kunst geführt, die ich mache. Wenn ich schon so etwas Tradiertes mache wie Landschaftsmalerei, dann stellt sich natürlich die Frage, was ich da noch Neues als Autor hinzufügen kann, ohne dabei die Errungenschaften der Postmoderne zu vernachlässigen. Daher der Bezug zu Motiven der Kunstgeschichte und zeitgenössischen Kunst. Die Gemälde von anderen sind ja sozusagen der Fundus, aus dem ich schöpfe. Im Kontext meiner Shin-hanga-Adaptionen und -Remixe entstand eine Art kulturelles Pingpong, soll heißen: Die Shin-hanga-Künstler haben sich gleichermaßen auf ihre Tradition des japanischen Holzschnitts Ukiyo-e bezogen wie auch auf die westliche Moderne, etwa Symbolismus, Impressionismus oder Expressionismus; sie konnten Ende des 19. Jahrhunderts in Tokio und Kyoto bereits Western Painting studieren. Sie verbanden dann die Bildauffassung etwa von Caspar David Friedrich mit dem Licht des Impressionismus und vermischten das alles mit der Technik des alten Holzschnitts. Ukiyo-e beeinflusste in Europa wiederum Künstler wie van Gogh, Klimt und viele andere, es entstand eine Strömung, die man heute Japonismus nennt. Alle diese Entwicklungen sind wie mit einem Mixer verquirlt in den Blättern des Shin-hanga zu finden. Und auf diese Werke habe ich mich wiederum bezogen, um daraus meine Gemälde im Stil von Drühl zu machen. Das meine ich mit kulturellem Pingpong – hier geht es immer hin und her mit den gegenseitigen Einflüssen und Bezugnahmen. Wer ist da noch der ursprüngliche Autor? Hiroshige, Klimt, Hasui, Drühl? Keine Ahnung. Und was soll ein Original heute noch sein? Appropriation ist ja ein relativ junger Begriff für diese Form der Aneignung und Bezugnahme, das gab es aber eigentlich schon immer. Heerscharen von Künstlern haben Motive ihrer Kollegen neu gemalt, sei es zur Übung, zur Vervollkommnung oder als Variante. Überall Klone und Mutanten. Heute ist das nur eben allumfassend: Alles bezieht sich auf alles. Zitate sind überall. Aber als ich vor 20 Jahren damit anfing, musste ich mich schon noch häufig rechtfertigen und erklären. Das ist aber vorbei.

In deinen Werktiteln legst du Fährten, wenn du eine Arbeit beispielsweise T.R.C.D.F. nennst und sich dahinter die Initialen von Tobias Rehberger und Caspar David Friedrich verbergen. Diese Titel, die auf den Ursprung der verwendeten Motive hindeuten, sind allerdings nicht ohne Vorkenntnisse beziehungsweise zusätzliche Erklärung zu dechiffrieren. Es sind keine konkreten, sondern versteckte Hinweise. Warum also nicht direkt offenlegen? Oder überhaupt keine Anhaltspunkte geben und die Arbeiten ganz im Stile vieler Deiner Zeitgenossen »Ohne Titel« nennen?

Die Titel dienten ursprünglich als Verweise auf die Vorlagen, auf die ich mich bezogen habe. Irgendwann gab es so viele Bergversatzstücke und Bäume von unterschiedlichen Künstlern in meinem Repertoire, das ich etwas brauchte, um mich zu orientieren. Und in Verweisstrukturen bin ich gut, siehe Mathematik-Nerd. Die Initialen sind Referenzen auf die Künstler, von denen ich etwas eingebaut habe, und sie dienen mir zur Orientierung im Archiv. Es handelt sich also nicht um ein semioriginelles Kunsthistoriker-Quiz, sondern um mein ganz spezielles Ordnungssystem. Und dass ich mich auf andere Kunst beziehe, ist mir schon wichtig zu zeigen. Die Quellen sollen erkennbar sein, so wie ja auch die verwendeten Bilder und Ausschnitte stimmig sind und nicht etwa verzerrt und verfremdet werden. Wenn ich das Eismeer von Friedrich zitiere, dann ist es auch das Eismeer und nicht nur so eine entfernt daran erinnernde Form. Denn es geht ja um eine Neuformulierung und nicht um ein Inspiriertsein von etwas. Und am Ende kommt ja doch immer ein typisches Drühl-Gemälde dabei heraus, deshalb heißt so ein Bild auch nicht »Rehberger-Friedrich«.

 

(Auszug (1/3) aus einem Beitrag in dem Ausstellungskatalog „Sven Drühl. Apokryphe Landschaften“, hrsg. von Lisa Felicitas Mattheis, Carola Schneider, mit Texten von Katharina Henkel, Lisa Felicitas Mattheis, Carola Schneider, Gestaltung von Claudia Bachmann. Deutsch, Englisch, 2020. 176 Seiten, 80 Abb., gebunden, 21,00 x 28,00 cm, ISBN 978-3-7757-4634-2. Hatje Cantz Verlag, Berlin, Preis an der Museumskasse 29,90 €.)

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