Vorhang auf, Spot an: Auftritt - die berühmten Tiller-Girls! Im mitreißenden Rhythmus der Musik marschieren die Mädchen auf die Bühne, schwenken die schlanken Beine, ihre Körper leuchten im Scheinwerferlicht hell auf, die modischen Bubikopf-Frisuren sind perfekt gestylt, die Lippen knallrot geschminkt. Mit sinnenverwirrendem Tempo und forcierter Erotik verdrehen sie Männern den Kopf. Die Tiller-Girls, von denen Karl Hofer hier zwei Tänzerinnen lebensgroß ins Bild setzt, traten stets in großen Formationen von einem Dutzend oder mehr Mädchen auf. Sie waren die Bühnenattraktion im Berlin der Zwanziger Jahre - und ein vieldiskutiertes Phänomen. Der berühmte Theaterkritiker Alfred Polgar schrieb:
"Girls nennt man Gruppen von jüngeren Frauen, die bereit sind, ziemlich entkleidet auf einer Bühne genau vorgeschriebene parallele Bewegungen zu machen. Der Zweck ihres Erscheinens und Tuns ist, Zuschauer erotisch anzuregen und diese hierdurch über das, was sonst auf der Bühne vorgeht, zu trösten. Darbietungen, die durch ein derart elastisches, möglichst langes, fleischfarbenes Band zusammengehalten werden, heißen Revuen. Hier findet der Wunschtraum des Mannes, der von vielen Frauen in einer träumt, zumindest durchs Aug' Erfüllung. Noch ein anderer Zauber als der erotische wirkt sich in Erscheinung und Tun des Girls aus - der Zauber des Militärischen: dieses Einexerzierte, Taktmäßige, das Untertauchen des Individuums in die Vielzahl.
Gespenstisch an den Girls ist, dass sie auch Gesichter haben. Das menschliche Antlitz als Zugabe, als sinnloser Annex von Büste, Bauch und Beinen... das ist ein wenig unheimlich. Darum lächeln tüchtige Girls auch ohne Unterlass."
So wie hier im Bild von Karl Hofer. Aber traten die Tiller-Girls wirklich splitterfasernackt auf? In diesem Punkt geht der Maler einen Schritt weiter als die Impresarios der Zwanziger: Er lässt bei seinen Tänzerinnen auch noch die letzten Hüllen fallen - ganz so, wie viele Zuschauer wohl in ihrer Phantasie...