Cornelius Völker, Pulli, 2000, Öl/Lwd. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Kunstwerk des Monats: Cornelius Völker, "Pulli", 2000

Elke Haan stellt Ihnen das Kunstwerk des Monats vor: Cornelius Völker, Pulli, 2000, Öl auf Leinwand 220 x 150 cm (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Schenkung der Freunde der Kunsthalle e.V., 2015

Wer kennt sie nicht, diese alltägliche, banale Situation, in der man sich einen Pullover überzieht oder auszieht, diesen einen fast hilflosen Moment, in der der Kopf im Kleidungsstück verschwindet und die Arme noch gefangen sind?

Cornelius Völker, geboren 1965 in Kronach in Oberfranken, widmet eine ganze Serie von Bildern diesem Thema und nennt sie schlichtweg „Pulli“. Demnach steht im Fokus des Malers die Stofflichkeit, die Beschaffenheit eines bunten, offensichtlich gestrickten Pullovers, seine Dehnbarkeit, seine Farbigkeit. „Ich lote aus, was man mit Farbe alles machen kann“, so der Künstler zu seinen Bildern. Die malerische Umsetzung von Gegenstand in Farbe, was ist Farbe, wo wird sie zum Abbild, wo bleibt sie eigenständig, ist das, was ihn interessiert.

Anlässlich der Ausstellung „Cornelius Völker. Arbeiten auf Papier“ im Jahr 2015 schenkten die Freunde der Kunsthalle e.V. das Gemälde der Kunsthalle Emden: es zeigt auf überlebensgroßem Format den Torso eines Mannes von der Hüfte aufwärts in Seitenansicht. Beide Arme sind aufwärts gerichtet, der rechte Arm nahezu senkrecht, die Hand locker zur Faust geschlossen. Der linke Arme bewegt sich schräg nach vorne und ist verkürzt dargestellt. Dies bewirkt vor einem ganz und gar einfarbig schwarzen Hintergrund eine gewisse Bildtiefe und Dynamik. Zwischen den beiden Armen spannt sich von den Handgelenken bis zu den Schultern ein farbintensiver, grell-bunter Pullover, der den Kopf des Mannes verbirgt. Unter dem erhobenen Arm ist ein Büschel Achselhaare zu sehen. Pastose Spuren des Pinsels, der verschiedene gleichzeitig Farben aufgenommen hat und an den Bilduntergrund in Form des gestreiften Kleidungsstückes gibt, machen das Malverfahren sichtbar. Dasselbe gilt für das weiße Unterhemd, in dessen Ausschnitt Brusthaare zu sehen sind, und die nackte Haut des Mannes, wo sie nicht von Kleidung bedeckt ist.

Völker studierte von 1989 bis 1995 an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er Meisterschüler von Dieter Krieg (1937-2005) war, einem der wichtigsten Vertreter der „Neuen Figuration“, die sich seit den 1980er Jahren der Darstellung von Gegenständen und Figuren widmet: wie Krieg vergrößert sein Schüler Völker scheinbar belanglose, banale Objekte und Figuren und stellt die Malerei als solche in den Vordergrund. Mit seiner expressiv-gestischen, farbenfrohen und großformatigen Malerei, der lebensbejahenden Unbekümmertheit und dem seinen Bildern innewohnenden Humor reiht er sich in die Malerei der sogenannten „Neuen Wilden“ ein.

Aber steht wirklich nur das Erproben von Malerei an verschiedenen Materialien wie Haut, Stoff, Haar in der Absicht des Künstlers? Steht nicht auch der Mensch, hier der Mann, im Blick des Malers? Dessen Kleidung outet ihn gesellschaftlich und kulturell als altmodisch, ja vielleicht sogar überaltert in seiner schlaffen Haltung, seiner schlaffen Haut: er wirkt spannungslos, hilflos, müde, ja sogar ungepflegt. Einen Antihelden zeigt Völker, keinen antiken Helden wie den berühmten Torso von Belvedere, dem Fragment einer antiken Statue aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., einem sehr muskulösen Mann mit großer Energie und Körperspannung. Völkers Mann steht nicht nur zu diesem in einem krassen Gegensatz, sondern auch zu den perfekt gestylten, durchtrainierten Körpern, die uns in den Medien als erstrebenswert präsentiert werden.

Steht also nicht nur das Spiel mit Farbe und Form im Interesse des Malers, sondern auch die Frage nach dem Menschsein in einer zunehmend beschleunigten und hochtechnisierten Gegenwart? Und damit auch der Frage, ob der Mensch noch mithalten kann im Cyber-Zeitalter der virtuellen Realität? Aber gerade die mitfühlende Sicht des Malers auf die mühevolle Bewältigung der Tücken des Alltags, auf das Nicht-immer-Mithalten können, ist es, was uns Völkers Figuren so sympathisch macht und uns bisweilen lächeln lässt.

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