Eine Fotoarbeit des Künstlers Thomas Wrede mit dem Titel Rhonegletscher II aus dem Jahr 2018 Copyright: VG Bild-Kunst, 2020

Kunstwerk des Monats: Thomas Wrede "Rhonegletscher II"

Samira Kleinschmidt stellt das Kunstwerk des Monats vor: Thomas Wrede, Rhonegletscher II, 2018, Tintenstrahldruck, Triptychon, insgesamt 80 × 255 cm. Die Freunde der Kunsthalle e. V. schenkten das Werk der Kunsthalle im Jahr 2020.

Der Fotokünstler Thomas Wrede (* 1963 in Iserlohn, lebt und arbeitet in Münster) beschäftigt sich seit 2017 in mehreren Werkreihen mit dem Abschmelzen alpiner Gletscher. Darin hält er in Innen- und Außenaufnahmen Eismassen und Grotten fest. Ihre Materialität, das farbliche Spektakel wie auch die Inszenierung landschaftlicher Veränderung fängt er, nach langjähriger Arbeit mit Plattenkamera und Weitwinkelobjektiv, in seinen Gletscherbildern erstmals digital ein. Rhonegletscher II von 2018 ist eine der Aufnahmen vom Äußeren des titelgebenden Gletschers, die er im schweizerischen Rhonetal angefertigt hat. Das Triptychon zeigt dessen mit Tüchern und Vliesplanen abgedeckte Stirn, die durch diese Verhüllung vor übermäßigem Wegtauen bewahrt werden soll.

Der Ausgangspunkt meiner fotografischen Arbeiten ist immer wieder die Sehnsucht nach der Natur und die Frage nach ihrer medialen Vermittlung. […] Es ist mir wichtig, in die Welt hinauszugehen und mich der Landschaft mit ihrer spezifischen Licht- und Wettersituation auszusetzen und anregen zu lassen, um dann mit geringen und simplen Mitteln neue Bildwelten zu schaffen, die ausschließlich durch die Fotografie, in der Fotografie, als Fotografie existieren.

Thomas Wrede, 2014

Im Rahmen der Sonderausstellung Sight Seeing. Die Welt als Attraktion wurde diese Arbeit 2020 durch Mittel der Freunde der Kunsthalle e. V. für die Sammlung angekauft. Die Problematik des overtourism, also der nicht nachhaltigen, übermäßigen Reisetätigkeit ohne Rücksicht auf die Belastung der Umwelt oder der lokalen historischen Bausubstanz, wird mit dem von Wrede gewählten Bildmotiv exemplarisch dargeboten. Bereits im 19. Jahrhundert reisten Tausende Menschen zum anliegenden Furkapass, um das einzigartige Bergpanorama mit dem Rhonegletscher zu erleben. Inzwischen gefährdet der Klimawandel den Gletscher und seine Höhlensysteme, und die fortschreitende Erderwärmung führte bereits zur Bildung eines Sees. Der Gletscher schrumpft seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich und könnte bis 2100 vollständig geschmolzen sein.

Dieser unwiederbringliche Verlust wird von Thomas Wrede sensibel ins Bild gesetzt: Das erhabene und doch fragile Gebilde aus Wasser und Eis wird zum Spannungsfeld menschlicher Intervention. Die menschengemachte Klimakrise sowie der Versuch, deren Folgen abzuwenden, sind gleichermaßen sichtbar. Die Vliestücher müssen wegen des kontinuierlichen Abwärtsdriftens des Gletschers sowie der Witterung stetig erneuert werden – den Menschen wird so eine Fürsorgepflicht für eine nicht menschliche Entität zuteil, die unmittelbar von ihrem Handeln abhängig ist. Seine Fotografie hält den Prozess des Verfalls für einen Moment an und entrückt ihn in eine Sphäre ästhetischen Wohlgefallens. Somit ergänzt Rhonegletscher II die Sammlung der Kunsthalle sinnvoll um eine weitere, zeitgenössische Perspektive auf das Genre der Landschaftsdarstellung, die bis heute für Kunstschaffende als Spiegel gesellschaftlicher Überlegungen dient und als Sinnbild für mannigfaltige Weltbilder immer wieder neu ergründet wird.

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