Zustandsprotokolle und Verpackungen: Kunst auf Reisen

Restauratorin Lena Waldmann

Zustandsprotokolle und Verpackungen: Kunst auf Reisen

Wenn Werke aus unserer Sammlung an andere Museen für Sonderausstellungen ausgeliehen werden, ist das mit deutlich mehr Aufwand verbunden, als sich der eine oder andere vorstellen mag. Was passiert also im Detail, wenn Gemälde von Hanns Ludwig Katz und Sonja Delaunay-Terk in die Städtische Galerie nach Karlsruhe reisen? Von Lena Waldmann, Restauratorin M.A. an der Kunsthalle Emden

Erster Schritt ist eine sorgfältige Untersuchung

Bereits Monate im Voraus beginnen die Planungen rund um die Ausleihe. Ob die Werke überhaupt reisen dürfen, entscheide ich, nachdem ich diese nach Eingang der Leihanfrage genau untersucht habe (Abb. 1). Gibt es Schadensphänomene an den Werken, die aufgrund des Transports zu einer Veränderung führen können? Müssen noch bestimmte konservatorische und restauratorische Maßnahmen durchgeführt werden, damit das Werk reisen darf? Diese Fragen werden zum Teil ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Transport detailliert geklärt und durchlaufen dabei sämtliche Stationen im Haus.

Individuelle Verpackungen für jedes Objekt

Wenn aus konservatorischer Sicht keine Einwände gegen eine Ausleihe sprechen, werden Verpackungsvorgaben für jedes einzelne Werk festgelegt. Wichtig bei so einer Entscheidung ist, jedem Werk und dessen Beschaffenheit die optimalen Transportbedingungen zu gewährleisten. Hauptaspekt ist hier primär, Temperatur- und Feuchteschwankungen so gering wie möglich zu halten. Dafür gibt es spezielle Kisten, die diese äußeren Einwirkungen abpuffern. Auch gibt das Werk vor, welche innenliegende Verpackung in einer Kiste nötig ist. Großformatige Werke, die nicht verglast sind, müssen beispielsweise frei montiert in einer Art Holzrahmen in einer Klimakiste verpackt werden, damit Berührungen, die zu einem Schaden an den empfindlichen Oberflächen führen könnten, ausgeschlossen werden. Kleine verglaste Werke mit einem nicht empfindlichen Rahmen werden in spezielle weiche Verpackungsmaterialien innerhalb der Kiste verpackt.

Die Kunst-Fachspedition wird beauftragt

Diese Transportvorgaben werden dann nach Festlegung an eine spezielle Spedition durchgegeben, die den Transport durchführen wird. Daraufhin werden Kisten aus dem Bestand der Spedition mit einem passgenauen Innenausbau für unsere Werke angefertigt und zu uns in die Kunsthalle – einige Tage vor dem großen Transport nach Karlsruhe – geliefert. Das ist besonders wichtig, da sich die Spezialkisten mindestens 24 Stunden im Raum der Gemälde akklimatisieren, d.h. sich an die veränderten klimatischen Verhältnisse zwischen LKW und Depot anpassen müssen.

Das detaillierte Zustandsprotokoll

Der wichtigste Schritt bei so einer Ausleihe ist die Anfertigung eines Zustandsprotokolls für jedes einzelne Werk. Dieses Protokoll beinhaltet sämtliche Informationen zur Verpackung und dem Zustand des Werkes. Wichtig ist, hier festzuhalten, welche Bereiche am Werk besonders auffällig sind: welche könnten sich durch den Transport und die Laufzeit der Ausstellung in Karlsruhe verändern? Dazu wird eine Schadenskartierung angelegt, in der sämtliche Schäden und Veränderungen detailliert eingezeichnet werden. Kratzer, Fehlstellen oder Veränderungen an der Gemäldeoberfläche, um nur einige Beispiele möglicher Schadensphänomene zu nennen, werden mit unterschiedlichen Farben ihrem genauen Zustand entsprechend beschriftet (Abb. 2). Auch wenn im Zuge der Vorbereitung der Ausleihe konservatorische Maßnahmen an einem Werk vorgenommen werden mussten, werden diese im Protokoll und der Schadenskartierung eingezeichnet und genau beschrieben. So ist auch in Zukunft genau nachzuvollziehen, wann welche Maßnahmen an den jeweiligen Werken durchgeführt wurden.

Die Zustandsprotokolle begleiten die Werke während des gesamten Ausleihprozesses. Sie werden zusammen mit den Werken in den Kisten der Spedition überreicht und reisen gemeinsam nach Karlsruhe und auch wieder zurück zu uns nach Emden.

Kurierfahrt nach Karlsruhe

Um festzustellen, ob es während des Transportes zu einem Schaden oder einer Veränderung an den Werken gekommen ist und um die Werke dort mit dem Team der Städtische Galerie gemeinsam auszupacken, bin ich im Zuge einer sogenannten „Kurierfahrt“ nach Karlsruhe gereist. Zusammen mit der Restauratorin vor Ort wurden alle Protokolle genauestens überprüft. Wenn keine Veränderungen festzustellen sind, werden gemeinsam mit den Kuratorinnen der Ausstellung, die Werke in einer vorgegebenen Reihenfolge an den Wänden installiert (Abb. 3). Dies geschieht alles in enger Absprache mit mir. Knifflige Hängungen und Montagemöglichkeiten werden dann gemeinsam überlegt und durchgeführt. Bis alle Werke an ihrem finalen Platz hängen bin ich vor Ort – erst dann ist der erste Teil des Ausleihprozesses abgeschlossen.

Rückkehr nach Emden

Im August 2021, nach Ende der Laufzeit der Sonderausstellung »Verborgene Spuren. Jüdische Künstler*innen und Architekt*innen in Karlsruhe 1900–1950«, wickelt sich der Prozess umgekehrt erneut ab. Bevor die Werke von der Wand demontiert werden, wird der Zustand mit den Zustandsprotokollen genau abgeglichen. Ist es zu Veränderungen in problematischen Bereichen gekommen? Ist im schlimmsten Fall ein neuer Schaden entstanden? Alles wird genau dokumentiert in Wort und Bild. Erst wenn die Protokollierung abgeschlossen ist, werden die Werke wie auf der Hinreise verpackt und reisen zurück in die Kunsthalle Emden, wo sie dann in der Herbstausstellung »Welt aus den Fugen. Scharl, Katz, Radziwill« ab dem 09.10.2021 wieder zu sehen sein werden.

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