Lisa Felicitas Mattheis, wissenschaftliche Direktorin und Vorständin der Kunsthalle, hat die Ausstellung "HIER BIN ICH! Künstlerinnenselbstporträt" (6. Mai bis 3. September 2023) kuratiert. Hier erläutert sie einige Hintergründe der Ausstellung:
Selbstporträts sind eine wesentliche Gattung der Kunstgeschichte. Was ist speziell an den Selbstbildnissen von Künstlerinnen so interessant?
Zunächst sind Selbstbildnisse generell immer schon ein besonderes Sujet, in dem viel zusammenkommt: Introspektion, Wunschvorstellung, Selbstbehauptung. Darüber hinaus sind die Kunstschaffenden zugleich ihr eigenes Modell und Motiv. Dieser Aspekt der „Doppelung von Subjekt und Objekt“ wirkt bei den weiblichen Selbstdarstellungen nochmal verstärkt, für die Frauen ist es eine Strategie, sich in den männlichen Künstlermythos einzuschreiben. Dazu werden bei weiblichen Selbstdarstellungen allerdings auch genuin weibliche Themen verhandelt, wie Schwangerschaft und Mutterschaft. Ein breites Feld also, aus dem wir nicht nur über die Künstlerinnensozialgeschichte lernen, sondern auch über die Rolle der Frauen in ihrer jeweiligen Zeit generell. Das macht dieses Thema so spannend.
Gab es einen konkreten Anstoß zu dieser Ausstellung oder drängte sich das Thema in der wissenschaftlichen Arbeit gewissermaßen auf?
Anspruch unseres Museums ist es, immer mit und aus der Sammlung heraus zu arbeiten. Das haben wir mit monografischen oder thematischen Ausstellungen immer wieder gezeigt und auch – gerade in den vergangenen Jahren – immer das „was steckt dahinter“ aufgegriffen. Ich denke da an die Ausstellung „Doing Museum“ oder „Von Hand zu Hand“, in denen wir museales, dokumentarisches und konservatorisches Arbeiten sowie Provenienzforschung in den Blick genommen hat. In diesem Fall erfolgt die Auseinandersetzung mit der Sammlung allerdings ex negativo, d.h. wir beleuchten diejenigen Positionen, die es eben nicht bzw. nur zu einem geringen Anteil in der Sammlung gibt – weibliche Positionen. Lediglich rund 5% der Werke unserer Sammlung sind von Künstlerinnen.
Und da bietet sich das Künstlerinnenselbstporträt natürlich aus oben genannten Gründen an. Für uns ist diese Ausstellung daher eine Art programmatische Korrektur, die gleichzeitig einen Ausblick auf die Zukunft gibt. In der parallellaufenden Sammlungspräsentation zeigen wir passend dazu Künstlerinnen aus unserer Sammlung, in diesem Fall ohne Einschränkung des Sujets.
Gibt es ein Objekt, auf das Sie sich besonders freuen?
Das kann ich so nicht sagen, denn jede einzelne Arbeit ist natürlich für sich ein Highlight. Ich freue mich aber in diesem Fall besonders, dass wir mit Unterstützung der Stadtwerke Emden das Trafo-Häuschen in Blickrichtung Jungfernbrückstraße (welch Koinzidenz bei diesem Thema) mit einer Arbeit von Ulrike Rosenbach bespielen dürfen. Zu sehen ist eine Weiterentwicklung ihres ikonischen Motivs „Art is a Criminal Action“ von 1971. Die Künstlerin greift hier eine Pose Elvis Presleys aus einem Western auf und blickt uns mit Pistolenhalter um die Hüfte und gezücktem Revolver direkt an. Eine starke feministische Geste, die in diesem Fall auch in die Stadt hineinstrahlt!
Seit einigen Jahren werden immer öfter Ausstellungen von Künstlerinnen in Museen gezeigt. Ist es eine besondere Herausforderung, die lange Zeit weniger beachteten Werke von Künstlerinnen aufzuspüren?
Nein, tatsächlich nicht. Viele Museen, Galerien sowie Sammlerinnen und Sammler von (teils auch weniger bekannten) weiblichen Positionen sind sich über ihre Schätze und ihre Rolle in der Vermittlung mehr als bewusst und freuen sich entsprechend, wenn die Arbeiten gewürdigt und ausgestellt werden. Bei den bekannteren Künstlerinnen ist es mittlerweile sogar soweit, dass es zu Leihgabenstopps gekommen ist, da die Werke so häufig reisen und gezeigt werden.
Die weibliche Seite der Kunstgeschichte ist facettenreich und von vielen zeittypischen Aspekten des 20. und 21. Jahrhunderts geprägt. Wie übersetzt man diese Komplexität in die Gestaltung einer Ausstellung?
Wie auch in anderen Ausstellungen präsentieren wir in „HIER BIN ICH!“ einen Medien-Mix, d.h. wir kaprizieren uns nicht auf eine Kunstgattung, sondern zeigen die gesamte Bandbreite als gleichberechtigte Gattungen nebeneinander und auf Augenhöhe. Denn tatsächlich sind gerade beim Thema der weiblichen Selbstinszenierung die neuen Medien von zentraler Bedeutung, da diese im Vergleich zu den klassischen Gattungen Bildhauerei oder Malerei nicht „vorbelastet“ waren. Gerade die neuen Medien wie Fotografie, Video – ausgehend von Performance und Body Art – boten den Künstlerinnen vielerlei Gelegenheiten, zu experimentieren und radikale, bildmächtige Ansätze zu entwickeln. Trotzdem finden wir natürlich auch viele malerische Positionen, in denen das Frau-Sein und Künstlerin-Sein verhandelt wird. Auffällig ist hier, dass sich diese Darstellungsmodi häufig an männlichen Künstler-Gestus anlehnen.
Wie präsentiert die Ausstellung die historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Künstlerinnen?
Dazu haben wir einen gesonderten Raum eingerichtet, in dem chronologisch die Ausbildungssituation von Künstlerinnen vorgestellt und auch auf die Frauenbewegung eingegangen wird.
Wie wird sich das Ausstellungs- und Sammlungsprofil der Kunsthalle künftig entwickeln?
Wir werden zukünftig den Schwerpunkt der Ankäufe auf Malerei ausrichten und die Ausstellung sowohl historisch vervollständigen – wie mit dem Ankauf 2022 von Maria Marc – oder aber zielgerichtet den roten Faden der expressiven, gestischen Abstraktion in die Zukunft fortführen – wie mit unserem jüngsten Ankauf von Jenny Brosinski. Beides im Übrigen Schenkungen der Freunde der Kunsthalle e. V., die uns als treuer Partner an der Seite stehen. Auch wenn die genannten Ankäufe von Frauen sind, bedeutet dies jedoch nicht, dass wir keine Männer oder non-binäre Personen ankaufen und ausstellen, sondern dass wir uns unserer Rolle als kultureller Speicher in einer offenen, diversen Gesellschaft bewusst sind.
Was die Ausstellungspolitik betrifft, dürfen die Besucherinnen und Besucher viele Schauen mit weiblichen Positionen erwarten. Im Anschluss an „HIER BIN ICH!“ zeigen wir beispielsweise eine Ausstellung zur Materialgenealogie des Textilen – ein Werkstoff, der vermehrt von Künstlerinnen aufgegriffen wurde und wird. Nach „Kunst Stoff“ folgt dann eine Ausstellung zum Hundertjährigen Geburtstag unseres zweiten großen Stifters Otto van de Loo. Durch seine Schenkung an die Kunsthalle Emden im Jahr 1997 ist Miriam Cahn in die Sammlung gekommen. Otto van de Loo hatte während seiner Galerietätigkeit allerdings immer wieder Frauen im Programm und diese auch gefördert, die nicht in der Schenkung repräsentiert sind. Hier justieren wir im Frühjahr 2024 nach!