Antworten auf das Trauma

Wiedergutmachung und Rehabilitierung

Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Ausstellungstätigkeit in Deutschland mit Unterstützung der vier Siegermächte wieder aufgenommen. Einigkeit herrschte in den vier Besatzungszonen darüber, dass die Kulturpolitik im Zeichen der Entnazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung stehen sollte. Neben teils eigenen Ausstellungstätigkeiten unterstützten die Siegermächte dabei jeweils Ausstellungen, die sich dezidiert der Rehabilitierung der künstlerischen Moderne vor 1933 widmeten. Mit Ausbruch des Kalten Kriegs 1947 verlagerten sich die Schwerpunkte der Ausstellungstätigkeit zugunsten antikommunistischer bzw. antikapitalistischer Propaganda. Dennoch wurden in den westlichen Besatzungszonen weiterhin jene Ausstellungen unterstützt, die die verfemte Moderne präsentierten.

Ein wesentlicher Anteil an der Rehabilitierung der Vorkriegsavantgarde kommt den ersten beiden Documentas zu. 1955, 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollte mit der ersten Documenta in Kassel der Anschluss Deutschlands an die Moderne vor 1933 wiederaufleben, indem der durch die Nationalsozialisten verfolgten Avantgarde eine Bühne geboten wurde.  Dabei ging es nicht nur darum, einen Überblick über die Kunstproduktion der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu schaffen, sondern vor allem darum, »die Wurzeln des gegenwärtigen Kunstschaffens auf allen Gebieten sichtbar zu machen«, wie Arnold Bode im Exposé betonte. Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Kunstströmungen aus insgesamt sechs Nationen – allen voran Italien, Frankreich und Deutschland – sollten den Wiederanschluss Deutschlands an das internationale Kunstgeschehen verdeutlichen.

Auch auf der zweiten Documenta vier Jahr später wurden die zwischen 1933 und 1945 geschmähten Künstlerinnen und Künstler als »Lehrmeister der Kunst des 20. Jahrhunderts« und somit als Vorreiter und wichtige Impulsgeber für die Kunst nach 1945 geehrt. Die erste Documenta war demnach eine Retrospektive der Avantgarde aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. 1959 sollte mit der zweiten Documenta schließlich an die Gegenwartskunst angeknüpft werden – und damit an abstrakte Tendenzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Erfahrungen des nationalsozialistischen Regimes und dem Holocaust wurde die Hoffnung auf Abstraktion als Mittel der kulturellen Erneuerung gesetzt. Mit der Loslösung von der Realität und vom Gegenständlichen sollte in die Zukunft geblickt werden, die sich von der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem gegenwärtigen Sozialismus abgrenzt. Kunst wurde somit auch zu einem Politikum – insbesondere in den USA, wo der Geheimdienst den American Abstract Expressionism zum Teil finanziell förderte. Die verschiedenen Kunstrichtungen – informell, abstrakt auf der einen, realistisch, gegenständlich auf der anderen Seite – wurden zu Repräsentanten verschiedener politischer Systeme – West und Ost, Kapitalismus und Kommunismus.

Zahlreiche Projekte und Ausstellungen arbeiten seit einiger Zeit die Anfänge der Documenta auf. So wurde durch die Auswahl der Werke eine Kanonisierung begünstigt, die gewisse Künstlerinnen und Künstler bewusst außenvor gelassen hatte. Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums stellte im Zuge einer Ausstellung, die eben diese Vergangenheit aufarbeitet, fest: »Im Laufe der Recherchen für die Ausstellung ergab sich eine erstaunliche Wendung: Der Bruch mit der NS-Kulturpolitik war nicht so radikal und tiefgreifend, wie ich gedacht hätte. Ermordete jüdische Künstler wurden am Anfang nicht auf der Documenta gezeigt.« Auch wurde die NS-Zeit als solche in den ersten Documentas nicht aufgearbeitet sowie die Rolle der Documenta-Gründungsmitglieder während der NS-Zeit nicht thematisiert. Erst 2019 wurde bekannt, dass der Documenta-Mitbegründer Werner Haftmann seit 1933 SA-Mitglied war, ab 1937 auch Mitglied der NSDAP. Er war aktiv beteiligt an der Bekämpfung von Partisanen in Italien, wobei Zivilisten getötet und Verdächtige gefoltert wurden. Insgesamt waren 21 Personen an der Gründung der ersten Documenta beteiligt; zehn von ihnen waren ehemalige Mitglieder der SA, SS oder NSDAP.

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