In ihren Werken auf Papier zeigen Rohlfs und Nolde große Virtuosität. Berühmt sind Noldes Aquarelle und Rohlfs’ Temperabilder. Aus ihren vielen Blumen- und Landschaftsmotiven spricht große Naturverbundenheit, doch lassen sie sich nicht als Naturnachahmung lesen. Farbe als Stimmung: intensiv, leuchtend, licht, aufgelöst. Nolde gibt dabei dem Nass-in-Nass-Arbeiten den Vorrang. Zufall, Eingebung, Instinkt und Schnelligkeit erachtet er als essentiell für seinen Schaffensprozess. „Ungeregelte Willkür mit dahinterliegendem straffen Stil – das ist schön.“ (Emil Nolde: Worte am Rande, 20.8.1943). Was Nolde in der Zeit formuliert, als er über 1300 seiner sogenannten „ungemalten Bilder“ malt – jene kleinformatigen Aquarelle, mit denen er angeblich einem (in Wahrheit gar nicht ausgesprochenen) Malverbot des NS-Regimes trotzt – zeigt sich als künstlerische Methode schon sehr früh. Dies erschwert die Datierung von Noldes Aquarellen. Aber auch motivisch gibt es Konstanten, wie die Stillleben aus Blumen und Figurinen, die ein kindlich-fantastisches Zusammenspiel eingehen.
Christian Rohlfs hält an dem für ihn charakteristischen Experimentieren mit Materialien und Techniken und an der dadurch ermöglichten Ausdrucksvielfalt bis ins hohe Alter fest. So entdeckt er ab 1921 den Tinten- beziehungsweise Kopierstift. Der typisch violette Farbton zeigt sich in einer Gruppe von Berglandschaftszeichnungen teils flirrend-zart als Studie, teils in kräftiger Schraffur, die das Motiv in Abstraktion überführt. In seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten beschränkt Rohlfs sich konsequent auf Arbeiten mit Tempera auf Papier, denen er all seine Errungenschaften in Zeichnung und Malerei dienstbar macht; so sind sie von gleichem Rang wie die früheren Gemälde. In diesem Spätwerk lassen sich unterschiedliche Strategien beobachten, wie z.B. das Auflösen aufgetragener Farbschichten durch rhythmisches Bearbeiten mit einer Bürste. Weiße Wolke am Berg (1930) und Weiße Wolke über dem See (1936) sind herausragende Beispiele für ein Entmaterialisieren und Transzendieren von Farbe. Die gesundheitsbedingt regelmäßigen Aufenthalte am Lago Maggiore ab 1927 lassen Rohlfs schließlich seine Abwehr gegen das „süßliche“ Licht des Südens überwinden. So stellt Goldenes Abendlicht am Lago Maggiore (1936) eine wundervolle Synthese aus warmer Lichtstimmung und expressivem Duktus dar.
Bei beiden Künstlern zeigt das Alterswerk kein Nachlassen der Kräfte. Bei Nolde ist es gerade die Kontinuität der künstlerischen Qualität, durch die die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Rang seines Werks und seiner politischen Verblendung noch einmal zugespitzt wird. Mit Lotte Lindners & Till Steinbrenners Interpretation eines Briefes der jüdischen Kunstsammlerin Tekla Hess, die in Zusammenarbeit mit der brasilianischen Schauspielerin und Punksängerin Kassandra Speltri entstanden ist, tritt eines sehr deutlich vor Augen: Die Kunstwerke, die im Vorfeld und während des Nationalsozialismus entstanden sind, werden immer auch nach der politischen und menschlichen Haltung derjenigen befragt werden, die sie geschaffen haben.